Strasbourg / Opéra national du Rhin (September 2023) Der dänische Komponist Simon Steen-Andersen folgt Don Giovanni in die Unterwelt
Er kann es nicht lassen. Selbst in der Unterwelt nicht. Don Giovanni bleibt auch da das Musterexemplar der Sorte Männer, die vor allem ihren „Erfolg“ bei Frauen auf der Agenda haben. Ganz so, wie man ihn während seines letzten Erdentages bei Mozart erlebt. So jedenfalls führt ihn der dänische Komponist Simon Steen-Andersen in seiner – tja, was eigentlich? komponierten? arrangierten? collagierten? – sagen wir kreierten Reise in die Unterwelt vor. Und in das Innenleben eines Opernhauses, denn parallel dazu geht es auch um die Erfahrungen des Interpreten mit den diversen Rollen der eher dunkleren Provenienz.
Und da hat die Operngeschichte (seit des noch moralisch akzeptablen Ausflugs von Sänger Orpheus dorthin) einiges zu bieten. Musikalisch hat sich Steen-Andersen nicht auf eine eigene Höllenmusik eingelassen. Er nimmt das, was es schon gibt, und kombiniert in schnellen Schnitten Einschlägiges. Was Leporello auf Erden für Giovanni war, wird drunten ein Polystophélès, dessen Namen nicht nur nach Mephistophélès klingt, sondern der auch etliches von dessen und seiner teuflischen Kollegen Charakterzügen hat. Er ist Reiseführer für den in der ersten Szene eindrucksvoll in der Versenkung der Bühne und zugleich in die Unterwelt Gestürzten (die Tafel, zu der der Komtur geladen war und kam, entschwindet gen Schnürboden). Hier begegnet er allen, die ebenfalls dort unten gelandet sind oder es hätten müssen. Ob sie nun Faust, Jago, Macbeth, Fliegender Holländer oder Turandot heißen. Andere wie Charon oder Pluto sind hier eh angestellt. Das gesamte rund vierzig Köpfe zählende Panoptikum hat durchweg mehr oder weniger triftige Beziehungen zur Unterwelt.
Für seine etwa zweistündige, in flottem Szenenwechsel absolvierte Reise entfesselt der Komponist einen musikalischen Hexenkessel, für den er sich bei allem bedient, was dafür relevant ist. So kommen Monteverdi und Gluck, Rameau, Berlioz, Gounod und Boito, Verdi, Puccini, Wagner und selbstverständlich auch die Namenspaten seiner Oper Mozart und Offenbach musikalisch vor.
Für versierte Operngänger ist das ein Déjà-vu-Spaß von Rang, eine Novität mit erheblichem Vergnügungspotenzial. Höhepunkt der Strafaktion ist übrigens ein Nacktauftritt Giovannis vor Publikum. Selbst den absolviert Bariton Christophe Gay mit spielerischem Charme. Damien Pass ist als souveräner Tenor der Polystophélès. Die übrigen Rollen teilen sich Geoffroy Buffière, François Rougier, Sandrine Buendia und Julia Deit-Ferrand. Bassem Akiki sorgt im Graben dafür, dass sich niemand in der Unterwelt verirrt und die Musiker des Orchestre philharmonique de Strasbourg und das sie ergänzende Ictus-Ensemble das angemessene Reisetempo beibehalten. Durch die Unterwelt. Und die Geschichte der Oper.
Roberto Becker
„Don Giovanni aux enfers“ („Don Giovanni in der Unterwelt“) (2023) // Lyrische Reise in die Unterwelt von Simon Steen-Andersen
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