Im Tempe-Tal rieselt der Schnee, erst leichter, dann immer stärker, bis er auch den Orchestergraben erreicht. Zuerst erinnert das noch an alte Bilder göttlicher Inspiration: Erleuchtete Flocken fliegen den Menschen zu. Später eher an einen Schneesturm. Es ist eine noch recht poetische Welt, in die man so entführt wird, in welcher der Gott immerhin ein Gott sein könnte. Die Rollengestaltung von Pavel Černoch als Apollo – ernst, getragen, mit tiefem Ansatz und großen Gesangsflügeln – gibt dazu einigen Anlass, ebenso seine ritualisierte Gestik wie aus dem Ägypten-Comic. Bei Anna Kissjudits Gaea wirkt das Tief-Getragene anfangs etwas aufgesetzt, kommt nicht recht vom Fleck.

Das geht wohl auch auf das Pult der Staatskapelle Berlin, an dem Thomas Guggeis nicht immer die Mitte zwischen schönem Strauss-Skizzen-Ton und der direkten Präsenz der Musik im Raum findet. Das naturhafte Sich-Verströmen des Orchesters klingt durchaus. Aber glaubt man am Ende an das Drama? Dafür zögert Guggeis zu oft in der Tiefe. Abgetönt, wie abgewandt beginnt das schon mit einem orgelartigen Holzbläser-Ensemble, um sich dann noch über weite Strecken in der Privatheit des Streicherklangs fortzusetzen. Die Interaktion zwischen Daphne und ihrem menschlichen Verehrer Leukippos gerät darüber zum Duodrama, wozu auch die liedhafte Interpretation von Magnus Dietrich beiträgt. Vera-Lotte Boecker folgt den Jugendstil-Fiorituren ihrer Partie mit Nachdruck, verwirklicht gelegentlich das Freischwingende in der Mittellage. Daneben ist ihr noch mehr Weite für die großen Anstrengungen zu wünschen.

Später müht sich René Pape als immer noch gewaltiger Flussgott im Ruhestand redlich, die erhabene Tiefe, die Guggeis fehlen lässt, zu erzeugen. Schön die Szene der beiden Mägde (Evelin Novak und Natalia Skrycka), die mit Komödiantengeist und gesanglichem Wagemut beeindrucken. Auch die Ambivalenz der Verführungsszene zwischen Apollo und Daphne in lau bleibenden Holzbläsertönen gelingt und ist zudem raffiniert inszeniert wie eine Szene im Hollywood-Code der vierziger Jahre.

Insgesamt eine Leistung, die sich sehen lassen kann, auch wenn manches noch mehr fließen könnte und man etwas alleingelassen wird mit der Bühnensymbolik. Was soll die Herme, auf der erst „ER“, dann „SIE“ steht? Warum steht im Futter von Apollos Wendemantel „VERA“? Und ja, warum ist der Mythos von der Lorbeerdame in einen locker-verschneiten Winter entrückt? So blüht die Rebe sicher nicht. Man kommt also auf Umwegen dazu, dass diese Handlung für Regisseur Romeo Castellucci allenfalls eine virtuelle Realität besitzt, auch wenn es durchaus nach Antike riecht und einzelne Bäume und Strauchwerk an Daphnes Freunde erinnern.

Mitten im Finale, das die Transformation Daphnes zum Thema hat, schultert die Titelrolle, uns abgewandt, das Titelblatt von T. S. Eliots „The Waste Land“. Das Programmheft zitiert aus dem Gedicht: „Nichts zeugt von Sommernächten. Die Nymphen sind fort.“ Am Ende dominiert der ökologische Sinn der Fabel. Kein friedlicher Eingang in die Natur ist da möglich. Auch Daphne wird zur erdverschmierten Öko-Terroristin. Der Baum hängt entwurzelt in der Luft.

Matthias Nikolaidis

„Daphne“ (1938) // Bukolische Tragödie von Richard Strauss

Infos und Termine auf der Website der Staatsoper Unter den Linden