Offensichtlich gehört Mozart zu Daniel Barenboims Favoriten. Während der Jahrzehnte, in denen er an der Staatsoper in Berlin faktisch das Sagen hat, startet jetzt mit „Le nozze di Figaro“ zum dritten Mal ein neuer Da Ponte-Zyklus. Diesmal mit Vincent Huguet als Regisseur. Musikalisch kann man gegen diese ohne Saalpublikum gestreamte Produktion kaum etwas einwenden. Barenboim und die Musiker der Staatskapelle Berlin beherrschen ihren Mozart wahrscheinlich im Schlaf, schmecken freilich oft eher der puren Schönheit der Musik nach, als auf Verve zu setzen. Aber das Protagonisten-Ensemble, das umständehalber auf den verdienten Beifall verzichten musste, macht seine Sache hervorragend. Riccardo Fassi darf als Figaro nicht nur stimmliche Beredsamkeit, sondern auch Muskeln vorführen. Die jugendlich frische Susanna (Nadine Sierra) ist sich der Wirkung bewusst, die ihre Unschuldsmine auch auf den ebenfalls noch jugendlich wirkenden Grafen (Gyula Orendt) und Cherubino (Emily D’Angelo) hat. Besonderen Eindruck hinterlässt Elsa Dreisig, die der Gräfin höchst überzeugend die vokale Melancholie eines Stars verpasst, dessen Ruhm verblasst und deren Ehe (mit ihrem Produzenten und Manager) in der Krise ist. Erstklassig die selbstbewusste Marcellina von Katharina Kammerloher und alle anderen.

Bei der Inszenierung sind nicht die zupackenden Handgreiflichkeiten das Problem, wenn sie denn im Dienste der flotten Intrigen-Komödie stehen würden. Aber gerade die zündet in dem Achtziger-Jahre-Ambiente nicht wirklich. Vor wuchtigen Wänden haben Aurélie Maestre (Bühne) und Clémence Pernoud (Kostüme) modische Versatzstücke von der Designerküche, Andy-Warhol-Porträts der Hausherrin und einem ausgestopften Leoparden über die Discokugel fürs Partyvolk bis hin zu Aerobic-Klamotten für die Lockerungsübungen am Anfang und Cowboystiefel für den Hobbykoch Figaro versammelt. Wenn der sich gekonnt über Tomaten hermacht und eigentlich den Grafen meint, Marcellina vergisst, die Lockenwickler aus den Haaren zu nehmen oder Cherubino mit Abendkleid und Absatzschuhen verkleidet wird, ist das nur kleines komödiantisches Wechselgeld, das den subversiv menschelnden Hintersinn der Komödie verfehlt. Den gesellschaftlichen sowieso. Dass die Gräfin dann am Ende mit Teenager Cherubino durchbrennt, ist zwar selbst hier nicht unbedingt zwingend, aber auch schon egal. Die Fortsetzung folgt in der nächsten Spielzeit und Mozarts Musik ist dafür immerhin eine sichere Bank.

Roberto Becker

„Le nozze di Figaro“ („Die Hochzeit des Figaro“) (1786) // Commedia per musica von Wolfgang Amadeus Mozart

Die Inszenierung ist als Stream auf Mezzo TV und medici.tv weiterhin für Subscriber verfügbar.