Ist-Status: Unser koloniales „Erbe“ der letzten 500 Jahre fällt uns derzeit auf die Füße, um Frauenrechte steht es trotz „Besser-Wissen“ aus den letzten 300 Jahren noch immer nicht so „recht“ – und in der US-amerikanischen Weltpolitik klaffen Anspruch und Wirklichkeit entlarvend auseinander. Alles eine ideale Ausgangslage für eine zeitgemäße Interpretation von Puccinis allzu oft behämter „Madama Butterfly“.

Die Frankfurter Neuinszenierung bekommt mit dem für Werkbesonderheiten mehrfach ausgezeichneten US-amerikanischen Regisseur R.B. Schlather einen zusätzlichen Reiz. Der ist sich mit Kostümbildnerin Doey Lüthi und Bühnenbildner Johannes Leiacker einig: keine Japanoiserie. Nur von fern sind aus dem Zen-nahen Wabi-Sabi die zwei schmucklosen, bühnenhohen Schiebewände entlehnt, die vor und hinter dem Spielpodium wechselnde Räumlichkeiten andeuten, mal grau, mal schwarz, mal weiß (Licht Olaf Winter). Spannend die zwei Fenster-Rechtecke, die gegen- und miteinander verschoben unterstreichen, dass unsere Wahrnehmung immer wieder „ausschnittweise“ ist.

Noch radikaler globalisiert wirken alle Bühnenfiguren: der Chor eine grässliche Party-Truppe (aber sehr feinsinnig in den Piano-Fernwirkungen, einstudiert von Álvaro Corral Matute), die Hochzeitsbeamten wie eingekaufte Proll-Typen von der Straßenecke, Makler Goro ein geldgieriger Clown, die Bediensteten europäisch-schwarz, Konsul Sharpless im Dauer-Smoking. Und als die Vorderwand beiseite fährt, steht Braut Cio-Cio-San im knallroten, schulterfreien Abendkleid wie eine Model-Puppe aus „Vanity Fair“ auf einem kleinen Podest. Dazu kontrastiert der doch im Werk patriotisch-auftrumpfende Marine-Leutnant Pinkerton in einem Kostüm-Missgriff: braune Slipper, beige Bermudas und knallbuntes Sommerhemd. Ähnlich befremdlich der ganz westlich im hellen Sommeranzug mit Krawatte auftretende Fürst Yamadori, während um Onkel Bonze im traditionellen Priester-Look plötzlich Rauch wallt wie in einer romantisierenden Inszenierung. Dass Butterfly für die Hochzeitsnacht und auch das Ende eine Art Swarovski-Glitzerkleid trägt, gehört zu den anderen Inkonsequenzen.

Den durch das Weglassen des historisch-kulturellen Rahmens gewonnenen Freiraum für den zwischenmenschlichen „Clash of Cultures“ nutzt Regisseur Schlather im ersten Akt wenig überzeugend. Was auch am späten Einspringen von Tenor Vincenzo Costanzo liegen mag, dessen stählerne Forte-Höhe etwas aus dem Rahmen fällt. Doch der sonstige musikdramatische Horizont wird von Dirigent Antonello Manacorda und dem Frankfurter Opern- und Museumsorchester vielfältig aufgespannt: ein unsentimental-schneller Einstieg fern aller Räucherstäbchen-Schwelgerei, feine Piano-Ziselierung um Blütenzauber, Summchor und Morgendämmerung, fulminante Dramatik im Zwischenspiel wie im Finale. So führt er die zart-kleine, äußerlich perfekt passende Heather Engebretson in der Titelrolle klug disponierend von der Geisha-Puppe zur bitter Scheiternden in einer männerdominierten Welt – was ihr „lirico spinto“-Sopran gut gesteigert bewegend Klang werden lässt. Dazu die warme Mezzo-Anteilnahme von Kelsey Lauritano als Suzuki, die sich zu einem leidvollen Fast-Zusammenbruch am Ende steigert. Und über alle schmerzlichen Brüche hinweg sucht der Konsul Sharpless von Domen Križaj mit seinem hilflos begütigenden Bariton-Samtgold darüber hinweg zu tönen, dass unsere Welt nicht so ist, wie sie sein könnte – gerade auch für Frauen.

Dr. Wolf-Dieter Peter

„Madama Butterfly“ (1904) // Tragedia giapponese von Giacomo Puccini

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