„Ein absurder Dreh“ könnte man „Una cosa rara“ übersetzen. Und man muss nicht erst die 30 Jahre alte Einspielung von Jordi Savall mit dem legendären Ernesto Palacio zur Legitimation einer Wiederaufführung jenes heiteren Dramas heranziehen, mit dem Vicente Martín y Soler am Alten Burgtheater Wien 1786 die Uraufführungsserie von Mozarts „Le nozze di Figaro“ ablöste. Lorenzo da Ponte legte in „Una cosa rara“ eine erotische Zündschnur wie in seinen Libretti für Mozart. Die von diesem beim Bankett in „Don Giovanni“ zitierte Melodie beschließt den ersten Akt von „Una cosa rara“ als Solo der Königin Isabella mit Ensemble.

Die von Intendant Jens Neundorff von Enzberg nach einer ersten Serie in Regensburg (2018) nach Meiningen geholte Produktion strotzt von großartigem, knallbuntem, urkomischem und musikantisch prächtigem Spiel- wie Gedankenmaterial. Dennoch tut es der ausstattenden und kostümlichen Auseinandersetzung des Malers Markus Lüpertz gut, einen versierten und sensiblen Regisseur neben sich zu haben. „Una cosa rara“ ist weitaus besser geraten als Lüpertz’ Meininger Regie-und-Bild-Alleingang mit Puccinis „La Bohème“. Denn Regisseur Andreas Baesler hat auch den Takt, das Gespür und Können zur Aneignung und theatralen Steigerung des sehr Guten zum Außerordentlichen. So gerät diese Produktion im Meininger Theater fast zum Zwilling des legendären Stuttgarter „Freischütz“ von Achim Freyer, der in Meiningen im September Verdis französischen „Don Carlo“ inszenieren wird.

Hier allerdings mit einem feudalen Jagd-Ambiente, in dem die spanische Königin auf Klappbrett-Wildschweine schießt und zwei alles andere als unerfahrene Landmädchen den Klappbrett-Kerlen ins Ohr flüstern. Das ist alles andere als knallchargig. Wenn der Haushofmeister Corrado malt, setzt sich Lüpertz vor dem in allen Farbschattierungen gut anzusehenden Laubbaumsaum des Hintergrunds selbst ein poetisches und gar nicht ironisches Denkmal. Man verwendet auch in Meiningen die Regensburger Strichfassung und verzichtet damit auf ein Viertel der Partitur. Dadurch werden die Formen vieler Nummern sprunghafter und wirken generell etwas hybrid. Chin-Chao Lin befeuert die Meininger Hofkapelle, treibt mit feurigem Eifer alle Instrumente und Stimmen in eine heftige, aber nie grobe Brillanz. Das vorsätzlich leicht übersteuerte Singen passt zu Lüpertz’ Farbklecksen auf den Hosen, den akkuraten und deshalb witzigen Frisuren, den tiefen Dekolletés und der sportiv-sinnlichen Komödiantik von Werk und Inszenierung. Mozart-typisch singen Emma McNairy (eine wunderbar blasierte Königin Isabella), Monika Reinhard (Lilla mit Höhenglanz) und Sara-Maria Saalmann (Ghita, der vokal-dramatische Wirbelwind) mit ähnlichen Stimmen und unterschiedlichen Temperamenten. Y Soler hat die Männerstimmen mit einer Tessitur analog zum hohen Adel und niedrigeren Ständen besetzt. Mykhailo Kushlyk gibt den Womanizer Giovanni und Tobias Glagau den Corrado mit unverbrauchten Stimmen und spielerischer Leichtigkeit. Tomasz Wija macht als versöhnlicher Landkerl in feiner Aufmachung gute Figur, Jonas Böhm ergänzt das arkadische und trotzdem recht heftig miteinander umspringende Quartett verliebter Paare. Als Lisargo bereichert Selcuk Hakan Tiraşoğlu ein Ensemble, in dem alle ein bisschen die Sau herauslassen und damit in kongenialer Stimmung zu Lüpertz’ burlesker Landpartie antreten.

Roland H. Dippel

„Una cosa rara o sia Bellezza ed onestà“ (1786) // Dramma giocoso von Vicente Martín y Soler

Infos und Termine auf der Website des Staatstheaters Meiningen