Zürich / Opernhaus Zürich (Dezember 2022) Calixto Bieito inszeniert Francesco Cavallis „Eliogabalo“
Ein junger Herrscher, der anstatt zu regieren lieber seinen Sexualtrieb auslebt, der beide Geschlechter mag, gewalttätig ist und sich auch mal als Frau verkleidet: „Eliogabalo“ von Francesco Cavalli ist genau der richtige Stoff für Calixto Bieito, könnte man meinen. Der katalanische Regisseur mag es gerne drastisch auf der Bühne und kann an guten Tagen Emotionen schmerzhaft zuspitzen. An schlechten sorgt seine permanente szenische Eskalation allerdings für Langeweile. Der Premierenabend am Opernhaus Zürich gehört leider zu letzteren.
Francesco Cavalli hatte seine Oper über den römischen Kaiser Elagabal, der 218 n.Chr. als 14-Jähriger gekrönt und vier Jahre später von Soldaten ermordet wurde, für den Karneval in Venedig 1668 komponiert. Uraufgeführt wurde die kurzfristig zurückgezogene und dann lange Zeit verschollene Oper allerdings erst 1999 in Crema. Der spärlich notierte Orchesterpart ist beim Orchestra La Scintilla unter der Leitung des Barockgeigers Dmitry Sinkovsky bestens aufgehoben. Die oft langatmigen dramatischen Rezitative werden durch das Orchester immer neu gefärbt. Leider ist diese feine Differenzierung im Orchesterpart auf der Bühne nicht zu erleben.
Yuriy Mynenko sitzt als Eliogabalo mit heruntergelassener Hose auf seinem Bürostuhl und ist mit Eritea (in der Höhe leider zu forciert: Siobhan Stagg) zu Gange. Sein Liebhaber Zotico (mit lyrischem Schmelz: Joel Williams) hat noch Pause. Dienerin Lenia (im Gouvernanten-Look: Mark Milhofer) ist scharf auf den Kutscher Nerbulone (bassmächtig: Daniel Giulianini) und greift ihm in den Schritt (Kostüme: Ingo Krügler). Anstatt die durchaus krasse Geschichte um den triebgesteuerten Herrscher ein wenig auseinanderzudröseln, macht Bieito aus den Protagonisten Karikaturen. Im Gegensatz zur Musik fehlt auf der Bühne jede Leichtigkeit. Im Senat ziehen sich die Frauen bis auf die Unterwäsche aus, liegen sich schreiend in den Haaren, ehe sich das Solistensextett, warum auch immer, Spaghetti aus Pappschachteln ins Gesicht schmiert.
Der dritte Akt startet nach der Pause mit einer überraschenden und subtil gestalteten Arie des Dirigenten und Countertenors Dmitry Sinkovsky. Die von Eliogabalo begehrte Gemmira (auch darstellerisch stark: Anna El-Khashem) trägt blutige Krawatten um ihren Hals und wird vom irren Kaiser vergewaltigt. Ihr eigentlicher Verlobter Alessandro (mit kräftiger, manches Mal zu scharfer Höhe: David Hansen) versucht derweil, die ihn anhimmelnde Atilia (differenziert: Sophie Junker) abzuwimmeln. Von der Decke schwebt ein Motorrad. Auch ein Stier wird als zweites Männlichkeitssymbol vom Schnürboden heruntergelassen (Bühnenbild: Anna-Sofia Kirsch, Calixto Bieito). Am Ende sticht die wunderschön singende Beth Taylor als Giuliano Lenia und Zotico ab. Der ebenfalls musikalisch berührende Countertenor Yuriy Mynenko muss sich als Eliogabalo kastrieren, zieht sich ein Brautkleid über und landet, von den anderen angespuckt, im Käfig. Die Musik, die lebendig aus dem Orchestergraben tönt, geht dabei leider im allgemeinen Bühnengetrampel unter.
Georg Rudiger
„Eliogabalo“ (entstanden 1668; Uraufführung 1999 posthum) // Dramma per musica von Francesco Cavalli