Halle (Saale) / Händel-Festspiele und Oper Halle (Mai 2024) Digitale Traumwelten für „Amadigi di Gaula“
Für die Händel-Festspiele in Halle ist ein Spezialorchester längst Standard. Der zur Staatskapelle gehörende Klangkörper wird für „Amadigi di Gaula“, den aktuellen Beitrag der heimischen Oper, von Dani Espasa geleitet. Regie führt zum zweiten Mal in Folge Hausregisseurin Louisa Proske. Sie konfrontiert eine barocke Zauberinnengeschichte mit einer von Fake News dominierten digitalen Parallelwelt und der Vision einer außer Kontrolle geratenden Künstlichen Intelligenz. Auf der Bühne sieht dieser Clash der Epochen streckenweise so aus, als wäre er selbst das Resultat eines KI-Programms für Barockopern.
Zusammen mit der Regisseurin haben Ausstatter Kaspar Glarner, Videodesigner Jorge Cousineau und Choreograf Michal Sedláček diese fiktive Arbeit der KI mit dem Einsatz ihrer herkömmlichen Mittel übernommen. Effektvoll sind dabei vor allem die opulenten Kostüme, allen voran die großen ausladenden Roben für die Zauberin Melissa. Franziska Krötenheerdt trägt alle Varianten mit großem Effekt, was den vokalen Furor ihrer Auftritte unterstreicht, mit denen sie sich erneut als für Halle passgenau Händel-affines Ensemblemitglied bewährt. Das gilt auch für ihre Mezzokollegin Yulia Sokolik, bei der die Hosenrolle des Dardano in bester, weil perfekt geführter Kehle liegt.
Dieser Dardano begleitet den Titelhelden Amadigi in das Reich von Melissa. Dabei stellt sich heraus, dass beide in Oriana verliebt sind, die von der gerade 24-jährigen Serafina Starke mit jugendlicher Leichtigkeit und ausdrucksstark verkörpert wird. Für den Titelhelden Amadigi kann der polnische Counter Rafał Tomkiewicz nicht nur eine wohltimbrierte kraftvolle Stimme, sondern auch Rollenerfahrung einbringen. Chorsolistin Deulrim Jo komplettiert als Deus ex machina (hier ist es Händel in Gestalt seines Denkmals auf dem Marktplatz persönlich) das Ensemble, zu dem ein halbes Dutzend illustrierend eingesetzte Tänzer gehören. Alle spielen sich die Bälle zu und lassen jedes Duett glänzen, getragen von einem Händelfestspielorchester in Hochform.
Der von einer Zauberin beherrschte Ort ist ins dunkle Zentrum der digitalen Welt projiziert. Ein gigantischer Server mit unendlich vielen Schränken voller blinkender Gerätschaften befindet sich auf der Bühne. Die Videofahrten imaginieren riesige Werkhallen. Wenn dann aber menschliche Porträts und ganze Traumwelten generiert werden, überfluten hochästhetische Farben den Raum. Er wird zu einer Art Holodeck für ein opulentes mittsommernachtskompatibles Paradies auf Erden. Wenn sich am Ende Melissa selbst aus dem Spiel nimmt und in einem der Schränke verschwindet, stellt sich die Frage, ob die Zauberin die imaginierte KI sein sollte. Dass ihr Reich dann aber zusammenbricht und alle auf dem Marktplatz zu Füßen des Händel-Denkmals ausgelassen tanzen, ist lediglich dem Lieto fine geschuldet. Wirklich hergeleitet ist das alles nicht – es bleibt letztlich doch nur eine ins Digitale übersetzte barocke Kulisse.
Roberto Becker
„Amadigi di Gaula“ (1715) // Opera seria von Georg Friedrich Händel