Rostock / Volkstheater Rostock (Mai 2024) „Zauberflöte Reloaded“ beweist, dass Oper mit Netflix und Gaming mithalten kann
Graffiti, Rap, Breakdance und Mode – das sind die Zutaten, die es laut Christoph Hagel für eine HipHop-Version von Mozarts altehrwürdiger „Zauberflöte“ braucht. Und er muss es wissen: Der Berliner Dirigent, Regisseur und Konzertdesigner Hagel hat bereits so manch einen Klassiker ins Hier und Heute übersetzt. Ob „Breakin’ Mozart“, „Flying Bach“ oder „Beethoven! The next level“ – bei all seinen „Modernisierungs“-Projekten bewahrt Hagel den Kern eines jeden Werkes und verzichtet auf die blasphemische Verplumpung zugunsten eindimensionaler Unterhaltung. Das gelingt ihm besonders gut in seinem „Zauberflöten“-Projekt, das man jetzt am Volkstheater Rostock erleben kann und bei dem er die Regie und musikalische Leitung übernimmt.
Seinen Anfang nahm „Zauberflöte Reloaded“ 2018 beim Mozartfest Würzburg, das den Auftrag hierzu vergab. Was vor sechs Jahren bereits modern war, das ist es heute immer noch, wie man an den begeisterten Reaktionen des Rostocker Publikums erkennen kann. Die Absicht einer solchen Produktion ist klar: Hier soll keine exklusive Klassik für Eliten gemacht werden. Kulturelle Erfahrungen – und dazu zählen Opernbesuche – sind für alle und müssen (auch) ganz ohne Kenntnis von Konventionen und Musikgeschichte möglich sein. Dieses Credo nur zu wiederholen, bringt wenig – Taten müssen her. Und schon die Ouvertüre verrät, wie das bei Hagel funktioniert: Nach den „klassischen“ eröffnenden Akkorden folgt eine wilde Mischung aus Jazz-Improvisationen. Papagino (so heißt hier der rappende Vogelhändler) sitzt derweil im Publikum, wird laut, benimmt sich rüpelig und stolpert sich seinen Weg zur Bühne.
Frederic Böhle brilliert in dieser Rolle, mit überbordender Spielfreude beherrscht er die Bühne wie auch den Publikumsraum. Fließend geht er von Rap-Passagen zum klassischen Bariton-Gesang über. Vor allem in den beiden Quintetten sind diese Übergänge ein großer Spaß. Ähnlich souverän überzeugt Matthew Peña als Monostatos, der durch sein Spielgeschick nicht nur auf die Opernbühne, sondern auch in den nächsten R’n’B-Clip passt. Darlene Dobisch ist wohl die einzige Königin der Nacht, die Koloraturen und Rap-Passagen zugleich meistert.
Ein Highlight sind die ausgiebigen Tanzeinlagen: Die (hier) zwei Knaben werden von Breakdancern (hochvirtuos: Julian Albrecht und Hakim Ben Slimen) dargestellt, denen die drei Damen mit ihrem Freestyle die Stirn bieten. Unterstützt werden sie dabei von der Hip-Hop-Crew aus Rostock, einer jungen Laien-Tanzgruppe, womit dem Volkstheater eine schöne Einbindung der Stadtgesellschaft in die Produktion gelingt (stimmige Choreografie: Daniele Varallo mit Contemporary und Brit Bauermeister mit HipHop). Die Kostüme (Nele Sternberg und Jana Maaser) bewegen sich unangestrengt zwischen HipHop und Camp und evozieren in Kombination mit den Video-Projektionen eine Welt zwischen Streetstyle und Gaming.
Für viele Schülerinnen und Schüler mag die Rostocker „Zauberflöte Reloaded“ der erste Opernbesuch gewesen sein. Doch die ehrlich interessierten Gesichter und euphorischen Reaktionen geben Hoffnung, dass es nicht ihr letzter war.
Dr. Dimitra Will
„Zauberflöte Reloaded“ (1791/2018) // Singspiel von Wolfgang Amadeus Mozart in einer Crossover-Fassung von Christoph Hagel