Sie ist schon eine „gerissene Füchsin“, wie Figaro die schwer heiratswillige Rosina nennt. Nun hat sie, im wirklichen Leben Cecilia Bartoli geheißen, ihren Salzburger Intendanten-Kollegen Rolando Villazón verpflichtet, zu den Pfingstfestspielen mit Generalthema „Sevilla“ die Rossini’sche Überkomödie „Il barbiere di Siviglia“ zu inszenieren. Was rauskommt, ist das nicht ein bisschen zu abgedreht, zu gaga? In gewisser Weise ja, durchaus. Keine weinselige Pointe wird für diese Produktion links liegengelassen. Eine Riesensause. Einmal tanzt die Bartoli mit Frankensteins Monster, Nosferatu ist ihr Gesangslehrer. Einmal treten Krieger der mehrtausendjährigen europäischen Geschichte gegeneinander an, auch Wikinger gegen Römer. Ein Kessel voll bunter Opernkostüme. Der gesamte Fundus: im Einsatz. Andererseits ist so nur auf die Spitze getrieben, was Rossini selbst angelegt hat: Groteske, Witz-Mechanik, Turbulenzen, Delirium, ja so etwas wie die Urgroßmutter des Dada. Da kann man fünfe grade sein lassen.

Was also passiert? Wir sind im Fundus eines Filmstudios, 1930er Jahre. Der Requisiten- und Kostümmeister ist ein Melodrama-Aficionado. Alles kennt er, alles liebt er, was Ceci B. Artoli, die Diva, in den Forza-Studios gedreht hat (ganz zufällig über jene Themen, die auch die Bartoli zu den Pfingstfestspielen der letzten Jahre aufs Programm setzte). Und nun schaut er sich also den jüngsten Film mit B. Artoli an: „Once Upon a Time in Sevilla“. Und die Leinwand wird ihm lebendig. Aus ihr heraus treten Almaviva, dessen angebetete Rosina, Bartolo, Figaro. Toller Einfall. Wie von Woody Allen. Filmspiel wird Bühnenrealität und umgekehrt. Für den Requisitenmeister und das Publikum drehen sich dreieinhalb Stunden große Oper und großes Kino im Kopf. Dabei lässt Villazón nichts anbrennen. Er, der Komödiant, zieht Register um Register. Figaro ist arg korpulent – und das wird mit Fleiß ausgespielt. Und der Heiligenschein für die Bartoli ist diesmal eine leere Filmrolle aus Blech. So geht es kurzweilig, absurd, mit und ohne Klamauk dahin. Bis Filmmogul Forza im zweiten Akt plötzlich den Stromstecker zieht, Spiel und Film einfrieren. Auch das ist höchst intelligent (und musikalisch!) erfunden, weil doch Rossinis Partitur hier tatsächlich mit plötzlichem Erschrecken generalpausiert und erst langsam wieder anläuft, um Gang für Gang hochzuschalten. Gleichwohl gilt: So sehr die Produktion in Entzücken versetzen mag, insgesamt leitet sie ihren Witz weniger aus Handlung ab als aus deren Garnierung durch Requisite, Assoziation, Anspielung, Filmzitat, Neuerfindung.

Letzteres auch in der Rezitativbegleitung, wo immer mal ein Ohrwurm neuerer Zeit aufblitzt. Damit sind wir bei der Musik, die von den „Les Musiciens du Prince – Monaco“ unter Leitung von Gianluca Capuano außergewöhnlich weich, weniger mechanisch ratternd als üblich, ertönt. Der Figaro von Nicola Alaimo ist eine sängerdarstellerische Wucht, wenn auch nicht von sonderlich feinsinniger Stimme. Auch Edgardo Rocha als Almaviva stößt an ästhetische Grenzen – dann, wenn die Höhe auch wendig zu sein hat. Großartige Charakterstudien gelingen Alessandro Corbelli (Bartolo) und Ildebrando D’Arcangelo (Nosferatu-Basilio).

Und die singende Intendantin mit ihrem hohen Alt? Sie wird vom Publikum gleichsam gefressen. Insbesondere nach jener Szene, da sie heftigst nach links mit ihrem falschen Gesangslehrer „Don Alonso“ flirtet, nach rechts hin aber, zu Bartolo, heftigst klar macht, wie hart sie mittels Vokalisen an Registerwechsel, Stütze und Intonation arbeitet. Wieder ein Kabinettstückchen, nach dem das Publikum ebenso tobt wie nach der ganzen Opern-Kino-Party.

Rüdiger Heinze

„Il barbiere di Siviglia“ („Der Barbier von Sevilla“) (1816) // Melodramma buffo von Gioachino Rossini

Die Inszenierung wird bei den Sommerfestspielen wiederaufgenommen, Infos und Termine finden Sie hier.