Regensburg / Theater Regensburg (Februar 2024) Uraufführung der deutschen Fassung von Eötvös’ „Valuschka“
Sebastian Ritschel, Intendant des bald Staatstheater werdenden Regensburger Hauses, nennt „Valuschka“ die 14. Oper des gerade 80-jährigen Peter Eötvös. Die parallel entstandene ungarische Version (Oper Nummer 13) gelangte im Dezember 2023 in den Budapester Eiffel-Studios zur Uraufführung. Die Regensburger Uraufführung fand leider ohne den erkrankten Komponisten und den Übersetzer György Buda statt. Die jüngste Partitur eines der erfolgreichsten lebenden Opernkomponisten überrascht mit einem sich von vorausgegangenen Werken unterscheidenden Werkkolorit und einem formalen Ansatz, welcher immer wieder tonale Bezüge herstellt. Eötvös nennt seine Vertonung des von Kinga Keszthelyi und Mari Mezei scharf verknappten Librettos nach László Krasznahorkais auch verfilmtem Roman „Melancholie des Widerstands“ (1989) einen „Übergang zwischen Prosa-Theater und Oper als Theater“. Etwa 30 Prozent der deutschen Fassung sind anders komponiert als die ungarische.
In der Symmetrie der zwei gleich besetzten Orchestergruppen gibt es nur wenige Stellen von Opulenz und epischer Illustration. Das Philharmonische Orchester Regensburg unter GMD Stefan Veselka bleibt demzufolge immer in durch Zitate aus der abendländischen Musik gestützter Signal- und Alarmbereitschaft. Darüber entfalten sich Eötvös’ Gesangspartien prägnant, aber auch ausladend und virtuos: machtlüstern schaumschlagende Koloraturen für die ihre Ziele über einen grünen Umweg verfolgende Rechtspolitikerin Tünde (brillant: Kirsten Labonte), tastende Ariosi in kleineren Intervallen für den Außenseiter und im klinischen Gewahrsam kaltgestellten Träumer János Valuschka (sensibel bewegend: Benedikt Eder), kleinzellige Sprachmelodik à la Janáček für Valuschkas Mutter Frau Pflaum (auf dem dramatischen Punkt: Theodora Varga). Szenen- und Formklammer ist Eötvös’ souveränes Tonsatz-Geflecht für genau 28 Männerstimmen aus dem Chor und Gästen für den lostretenden Mob (Einstudierung: Harish Shankar).
Seit Beginn des Projekts 2019 ist in Europa viel passiert. Demzufolge erschließen sich Ereignisse, die durch die Ankunft eines Wanderzirkus mit dem größten ausgestopften Walfisch der Welt und einem dreiäugigen Prinzen in Gang kommen, aus west- und osteuropäischer Wahrnehmung verschieden. Eötvös steigert die Rätselhaftigkeit seines Plots nicht, bietet eher ein durch die Inszenierung und das Ensemble zu verdichtendes Konzentrat an Expression und linearer Entwicklung.
Inspiriert von den imposant verfallenden Heilstätten Beelitz hat Kristopher Kempf dazu einen bizarr-fantastischen Bühnenraum gesetzt. Pastellfarbene Graffiti überlagern Backsteinwände. Ritschels Kostüme steigern die Brüchigkeit: Frauenroben zwischen Pelz und Kittelschürze (für Svitlana Slyvias Bäuerin als starke Episodenfigur) und fast zu schöne königsblaue Uniformen. Sebastian Ritschels Personenführung ist von sorgfältiger Exaltation, nicht mehr realistisch und noch nicht Karikatur. Diese genau gesetzte Übertreibung steigert die Beklemmung, welche Krasznahorkai im Roman mit politischer Dimension und poetischen Drohgebärden aufbaut. Viel Applaus für eine Dystopie aus Eötvös’ meisterhafter Skelett-Partitur, einen Text wie literarische Nervennahrung und eine Inszenierung von kafkaesker Hintergründigkeit.
Roland H. Dippel
„Valuschka“ (2023/24) // Tragikomödie mit Musik, eine groteske Oper von Peter Eötvös (deutsche Fassung)