Barak ist ja nun wirklich eine Seele, gutmütig bis zur Selbstaufgabe. Aber jetzt hat sein Weib den Bogen überspannt, jetzt sagt sie möglicher Mutterschaft ab, jetzt ist Schluss. Erdrosseln? Da steckt ihm die Amme, die seiner Frau die Flausen in den Kopf gepflanzt hat, ein Messer zu. Ist sicherer. Womit Barak aber nicht rechnet, sind die lebensliebenden Kräfte der noch Ungeborenen, die die Bluttat vereiteln. Diese Ungeborenen tauchen immer wieder unerwartet auf in Jens-Daniel Herzogs Inszenierung von Richard Strauss’ „Die Frau ohne Schatten“.

Der Hausherr kocht selbst. Eine klare Geschichte möchte er erzählen, dort, wo Hugo von Hofmannsthal in Symbol und Gleichnis und Verwandlungszaubertheater schwelgt. Es will ihm nur ansatzweise gelingen – auch weil das Bühnensetting von Johannes Schütz recht umständlich kreist und zu handhaben ist: eine Leinwand, die mal als Projektionsfläche dient (ein Wohnwagen für das Kaiserpaar, schlussendlich ein Schatten für die Kaiserin!), mal als Raumtrenner, mal als niederzureißende Mauer – und dazu jenes offene Zweizimmer-Gehäuse des Färberpaars, das regelmäßig von der Seitenbühne schwankend hereinschwebt und wieder hinausschwebt, geleitet von der Technik. Das Gekünstelte und seine sichtbare Logistik behindern den natürlichen Fluss einer klaren Geschichte, die im Übrigen ganz kinderkitschfrei nicht enden mag, auch wenn da (Leichen-?)Tücher über das Kaiser- und Färberpaar gebreitet werden.

Halten wir uns an die Personenregie, insbesondere an die der Färberin. Da haben Herzog und die sich fabelhaft steigernde Manuela Uhl eine durchaus neue Sicht in petto: Diese Färberin ist zunächst nicht so hart, höhnisch und aggressiv, wie sie oft umrissen wird. Und das, obwohl doch in Nürnberg ein Schwager zumindest versucht, sie zu vergewaltigen. Diese Färberin bleibt zunächst zurückhaltend, unsicher, vage – bevor sie sich auf den Weg der Selbstbefreiung begibt, nicht wissend, ob es der richtige ist. Aber sie geht ihn mit wachsendem Selbstvertrauen – und kehrt dann doch in den Familien-Schoß zurück. Was für ein dramatischer Entwicklungsbogen, anfangs mephistophelisch geschürt von der Amme, die Lioba Braun als scharf gezeichneten, vokal aber etwas monochromen Charakter gibt. Bis auf seinen Wutanfall singt Thomas Jesatko den Barak ausgeglichen, dienend, ja balsamisch strömend. Das Färberpaar trägt den Abend. Wohingegen der Kaiser (Tadeusz Szlenkier) sängerisch und darstellerisch etwas steif bleibt und Corona-Einspringerin Agnieszka Hauzer (Kaiserin) zur Premiere noch nicht aus dem Vollen schöpft.

Das aber gelingt zunehmend der 100-jährigen Staatsphilharmonie Nürnberg unter der konsequent nach oben dirigierenden, derart musikalischen Bedeutungsballast meidenden Generalmusikdirektorin Joana Mallwitz. Bleibt der erste Akt noch ein bisschen tastend im Zusammenfinden, entwickelt der zweite und dritte enorme dramatische Schlagkraft, nicht zuletzt dank des Blechs, das Wucht und Transparenz unter einen Hut bringt.

Rüdiger Heinze

„Die Frau ohne Schatten“ (1919) // Oper von Richard Strauss

Infos und Termine auf der Website des Staatstheaters Nürnberg