Man kann darüber diskutieren, warum das bekannteste Werk von Puccini-Lehrer Amilcare Ponchielli nicht häufiger auf den Spielplänen zu finden ist. Musikalisch hat es durchaus Ohrwurm-Qualitäten und das nicht nur wegen der allegorischen Balletteinlage, dem „Tanz der Stunden“ im dritten Akt. Möglicherweise liegt es am großen Chor- und Orchester-Aufwand, möglicherweise auch an der nicht immer logischen, brutalen und aus der Zeit gefallenen Handlung (Libretto: Arrigo Boito unter dem Pseudonym „Tobia Gorrio“). In einer Art „Traviata“-Geschichte ist die Protagonistin, die Straßensängerin Gioconda, zwischen der Verpflichtung gegenüber ihrer blinden Mutter und der Liebe zum Matrosen Enzo hin- und hergerissen, obwohl der ihre Widersacherin Laura liebt. Gioconda überwindet die eigenen Gefühle, opfert sich selbst und verhilft Kontrahentin und Geliebtem zur Flucht.

Die Salzburger Version des britischen Regisseurs Oliver Mears verzichtet auf den Selbstmord der Protagonistin am Ende, stattdessen ersticht die ihren Peiniger, den Inquisitor. So richtig „retten“ kann Mears mit dieser Umdeutung das antiquierte Frauenbild aber nicht, vor allem setzt die Inszenierung keine weiteren großen Akzente und kommt vor allem in den ersten beiden Akten statisch und einfallslos daher.

Dass es trotzdem nicht langweilig wird, darf der großartigen musikalischen Leistung des Ensembles zugeschrieben werden. Anna Netrebkos Stimme ist prädestiniert für diese Titelrolle, ihre mittlere und tiefe Lage sind ein Ereignis, das mancher Altistin zur Ehre gereichen würde. Jonas Kaufmann als Enzo kann bei diesem Faszinosum nicht ganz mithalten, seine große Arie „Cielo e mar“ bleibt trotzdem ein Höhepunkt und vor allem im Forte klingt seine Stimme signifikant wie eh und je. Nur manchmal liegt eine Art „Schleier“ auf der Stimme, als wisse der Routinier um seine Kräfte und wie man einer solchen Herausforderung auch im fortgeschrittenen Tenor-Alter bis zum Schluss gerecht wird. Besonders hörbar wird das in den Duetten mit Eve-Maud Hubeaux als Laura, die als stimmliche Überraschung des Abends gelten kann. Luca Salsi ist ein Barnaba mit vokaler Präsenz, man hätte sich lediglich ein wenig mehr Spielfreude gewünscht. Agnieszka Rehlis singt und spielt die blinde Mutter eindrucksvoll mit gebotener Tragik, Tareq Nazmi ist ein stimmlich überzeugender Inquisitionsbeamter, wenngleich die Bedeutung seiner Figur von der Regie zu wenig beachtet wird.

Die zahlreichen, wunderschönen Chorpassagen lassen der Coro dell’Accademia Nazionale di Santa Cecilia und der Bachchor Salzburg in perfekter Artikulation recht häufig aus dem Off ertönen. Aus musikalischer Sicht „leider“, im Hinblick auf die ulkige Kostümfundus-Ausstattung des Chors (Annemarie Woods) und den seltsam-lächerlich choreografierten Tanzeinlagen (Lucy Burge) ist das aber vielleicht ein Vorteil.

Insgesamt ist dieser Abend einer der Musik. Antonio Pappano legt mit dem Orchestra dell’Accademia Nazionale di Santa Cecilia einen hochemotionalen, schwelgenden Klangteppich unter die krude Geschichte. Was der Regie nicht durchwegs gelingt, schafft die Musik: ausufernde Kantilenen, spritzige Piani, pointiertes Zusammenspiel mit den Solisten – Pappano feiert das Werk seines Landsmannes und „erzählt“ die Geschichte in einer Art, wie es vielleicht nur Italiener können. 

Iris Steiner

„La Gioconda“ (1876) // Oper von Amilcare Ponchielli

Infos und Termine auf der Website der Osterfestspiele Salzburg