Nach der „Traviata“, in deren Bericht die diesjährige Regiekonzeption der Neuinszenierungen der Fondazione Arena di Verona geschildert wird, ist man gespannt auf die Bilder, die auf der riesigen LED-Wand von D-WOK zur „Aida“ präsentiert werden. Schon vor Beginn der Aufführung bekommt man tiefe und farbenprächtige Einblicke in das Grab des berühmten Pharao Tutanchamun aus der 18. Dynastie, dem Neuen Reich. So ist durch die szenische Arbeit von Michele Olcese gleich die Atmosphäre von Altägypten am Schauplatz des Alten Rom hergestellt, und dieser Zauber nimmt den ganzen Abend über nicht mehr ab. Mit einer phantasievollen Choreografie werden die großen Massen und natürlich die Balletteinlagen publikumswirksam in Szene gesetzt. Die Monumentalität des Spielorts kommt von jeher der „Aida“-Ästhetik mit der Monumentalität des Alten Ägyptens entgegen. Nicht zuletzt ist der Klassiker auch die erste Oper, die 1913, im Gründungsjahr des Festivals, zu Verdis 100. Geburtstag in der Arena gespielt wurde.

Im weiteren Verlauf bekommen wir Einblicke in das Tal von Theben und seine Tempel, immer wieder erwähnt, wenn es um die Auseinandersetzung mit den Äthiopiern geht, sowie in die endlos weiten Sanddünen der Sahara mit darin etwas unvermittelt stehenden Pyramiden – bisweilen etwas zu viel des Guten. Aber die gigantischen Tempel, einmal meint man Teile des Karnak-Tempels in Luxor zu erkennen, sowie die perfekt auf Zeit und Szenerie mit Prunk und Gold abgestimmten Kostüme verfehlen auf Dauer ihre eindrucksvolle Wirkung nicht. Hinzu kommt noch der Vollmond, der ausgerechnet an diesem Abend über dem Nil-Akt romantisch über der Arena strahlt …

María José Siri beeindruckt als Aida nicht nur mit ihrem klangvollen und facettenreichen Sopran, mit dem sie auch mühelos die vokalen Feinheiten im Nil-Akt singt, sondern mit einer glaubwürdigen Darstellung als Sklavin einerseits und liebender Frau andererseits, sowie vor einer tragischen Entscheidung stehenden Verzweifelten in der Auseinandersetzung mit Amonasro. Siri meistert diese Achterbahn der Gefühle vokal und schauspielerisch einnehmend. Judit Kutasi ist ihr als Amneris dabei eine auf Augenhöhe singende Gegenspielerin, verfällt darstellerisch aber in zu viele Stereotype, als dass sie mit der Figur voll überzeugen könnte. Jorge de Lèon fehlt es an tenoralem Volumen, um dem Radamès die Bedeutung und Glaubwürdigkeit zu verleihen, die er im Stück und gerade bei diesen beiden Frauen haben sollte. Ambrogio Maestri ist mit seinem üppigen, an einen afrikanischen Schamanen erinnernden Gewand und Maske vokal wie darstellerisch ein starker Amonasro. Er wirkt allein schon durch seine Erscheinung Respekt einflößend. Romano Dal Zovo singt einen ansprechenden König. Rafał Siwek ist ein guter Ramfis und Yao Bohui wertet mit ihrer schönen Stimme die Weiheszene stark auf, die überhaupt in der Arena eine ganz besondere Wirkung bekommt.

Am Pult des Orchesters der Arena di Verona steht mit Daniel Oren diesmal ein ganz „alter Hase“ der Arena – und das merkt man sofort an seinem ausgezeichneten Verständnis für die Besonderheiten der Koordination zwischen Orchester, den Solisten auf der Bühne und dem Chor auf den linken seitlichen Rängen. Dabei sorgt er für eindrucksvolle musikalische Intensität in den dramatischen Phasen, findet aber auch zu feiner orchestraler Facettierung im Nil-Akt und im Finale. Man merkt, dass bei Oren alles zusammenläuft und ihm alle voll vertrauen. Das tut dieser „Aida“ sehr gut.

Dr. Klaus Billand

„Aida“ (1871) // Oper von Giuseppe Verdi