Bremerhaven / Stadttheater Bremerhaven (September 2025) Prokofjews „Die Liebe zu den drei Orangen“ greift tief in die Ideenkiste
In der letzten Spielzeit hat Frank Hilbrich am Bremer Theater mit seiner fantasievollen und prallen Inszenierung von Sergej Prokofjews Oper „Die Liebe zu den drei Orangen“ für uneingeschränktes Vergnügen gesorgt. Nun legt das nahegelegene Stadttheater Bremerhaven zur Spielzeiteröffnung mit einer Inszenierung durch Julius Theodor Semmelmann nach. Und auch hier gelingt es, Chaos, Witz, Satire und Märchenhaftes zu einem absurden Gesamtereignis voller Charme zu bündeln. Gesungen wird in deutscher Sprache.
Prokofjews Oper ist ein geistreiches Stück über das Theater und seine verschiedenen Formen wie etwa Tragödie oder Komödie, Farce oder Satire, Liebesgeschichte oder Märchen. Bei dieser Frage, über die sich zu Beginn verschiedene Gruppen auf der Bühne und im Zuschauerraum streiten, bleibt das Werk scheinbar unentschlossen, weil es Elemente all dieser Formen enthält. Dennoch fügt es sich zu einem faszinierenden Gesamtkunstwerk. Die skurrile Geschichte um den depressiven Prinzen, der nicht lachen kann und erst durch Schadenfreude „geheilt“ wird, ist durchaus komödiantisch. Die Kämpfe zwischen dem Zauberer Tschelio und der Hexe Fata Morgana fallen in den Bereich des Märchenhaften, die intriganten Machtspiele von Leander und Clarice laufen auf eine Tragödie (mit satirischen Elementen) hinaus und die Romanze zwischen dem Prinzen und der Prinzessin Ninetta ist fast eine klassische Liebesgeschichte. Die Szenen um die diabolische Köchin, die die drei Orangen hütet, haben etwas von einer Farce.
Regisseur und Bühnenbildner Semmelmann hat tief in seine Ideenkiste gegriffen und schreckt auch vor (geschmackvollem) Klamauk nicht zurück. Bevor es richtig losgeht, sieht man eine Ingrid-Steeger-Kopie vor dem Vorhang. Eine „Zuschauerin“ verlässt telefonierend das Theater. Tschelio und Fata Morgana liefern sich in luftiger Höhe ein Duell mit Spielkarten, Farfarello erzeugt mit einem riesigen Föhn beträchtliche Windstärken und die Köchin wirkt durch eine Videoprojektion noch gefährlicher. Im Wüstenbild sieht man (ähnlich wie in Bremen) drei riesige Orangen, aus denen die Prinzessinnen schlüpfen. Der Hofstaat wird köstlich karikiert, etwa wenn ein überforderter Lakai die lange Schleppe des Königs auch bei hektischem Lauf tragen muss. Der große Mond am Himmel sieht auf den ersten Blick romantisch aus, ist aber gleichzeitig augenzwinkernde Ironie. Viele Beleuchtungseffekte, bei denen auch der Zuschauerraum miteinbezogen wird, sind gelungener Teil der Regie. Die Kostüme von Devin McDonough fallen sehr fantasievoll aus, Tschelio etwa könnte auch der „Harry Potter“-Saga entstammen.
Getragen wird der Abend von einer soliden Ensembleleistung, darunter Timothy Edlin (König und Köchin), Kai Preußker (Leander), Andrew Irwin (Truffaldino), Marcin Hutek (Farfarello) und Frederic Mörth (Tschelio). Meredith Hoffmann-Thomson beeindruckt als bühnenbeherrschende Fata Morgana mit kraftvollem Sopran und Tenor Weilian Wang kann als Prinz mit höhensicherer, etwas gleißender Stimme überzeugen. Boshana Milkov verleiht der Verschwörerin Clarice punktgenaue Komödiantik, Victoria Kunze ist eine anmutige Prinzessin Ninetta.
Ein Sonderlob gebührt dem großartig und klangvoll singenden (und agierenden) Chor in der Einstudierung von Edward Mauritius Münch. Dem von Marc Niemann geleiteten Philharmonischen Orchester Bremerhaven zu lauschen ist eine reine Freude. Niemann geht mitunter ordentlich „in die Vollen“, etwa bei dem berühmten Marsch, kann aber auch den Witz und die Feinheiten der Musik exemplarisch verdeutlichen.
Wolfgang Denker
„L’amour des trois oranges“ („Die Liebe zu den drei Orangen“) (1921) // Oper von Sergej S. Prokofjew in deutscher Fassung
Infos und Termine auf der Website des Stadttheaters Bremerhaven
