1843 entstand Charles Dickens’ Erzählung „A Christmas Carol“. Aus dieser vielfach verfilmten Weihnachtsgeschichte machten Komponist Dirk Michael Steffan und Autor Michael Tasche vor 22 Jahren das Musical „Vom Geist der Weihnacht“. Es lockte seither 700.000 Besucher in deutsche Theater.

Nun hat das Stück am Festspielhaus Neuschwanstein Premiere. Andächtige Feststimmung verbreitet hier vor allem der sensationell gelegene Theaterbau am Forggensee – am anderen Ufer leuchtet das Schloss Neuschwanstein unterm Sternenhimmel. Festspielhausdirektor Benjamin Sahler hingegen hält sich in seiner neuen Inszenierung zurück, was weihnachtlichen Prunk angeht – ganz im Einklang mit Dickens’ Geschichte, die unter der armen Bevölkerung Londons spielt.

Schikaniert werden die kleinen Händler und Handwerker von dem gierigen Pfandleiher Ebenezer Scrooge. Doch an Heiligabend bekommt Scrooge Besuch vom Geist seines untoten Freundes Marley. Der will ihn davon überzeugen, dass Liebe und Freude mehr wert sind als materielle Reichtümer.

Kristian Vetter ist als Scrooge eine echte Wuchtbrumme. „Weihnachten ist Rattendreck, schmeißt den ganzen Plunder weg“ schimpft er, um sich dann ausdrucksstark vom knausrigen Grantler in einen Wohltäter zu verwandeln. Jörg Hilger saust als durch und durch sympathischer Geist auf einer Art Lastenfahrrad mit Windmühlenantrieb umher. Misha Kovar als Bilderbuch-Engel, mit Goldlocken und weißglitzerndem Kleid, kommt ebenfalls mittels Windkraft angeschwebt. Darstellerisch hat so ein Engel ohnehin nicht viele Facetten. Doch auch stimmlich schwächelt Kovar, mit gekünstelter Tongebung und übermäßigem Vibrato. Liebevoll sind die Nebenfiguren gestaltet. Buchhalter Cratchit (Lutz Thase) friert sich am erkalteten Kamin die Finger ab und schiebt seinen hinkenden Sohn Timmy (Noah von Rom) auf der Sackkarre umher. Großen Applaus gibt es für Mrs. Fezziwig (Anja Wessel) und ihren virtuosen Kochrezepte-Rap. Sahlers detailfreudige Personenregie kommt jedoch nicht gegen das allzu rührselige Libretto an.

In sauber arrangierten Tableaus teilt die Londoner Bevölkerung Grüße und Geschenke aus. Stefanie Grönings Choreografien wirken ein wenig zahm. Nur als Geister dürfen die 17 Tänzer so richtig zeigen, was sie draufhaben. Als Kulissen kommen die Fassaden eines Londoner Marktplatzes schön zur Wirkung. Die Szenen in den Innenräumen, das weihnachtliche Familienfest oder Scrooges Schlafzimmer, wirken auf der riesigen Drehbühne aber etwas verloren.

Scrooge reist zusammen mit Marleys Geist und dem Engel durch seine Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, bis er schließlich den Wert der Liebe erkennt. Die Geschichte seiner Bekehrung dauert etwa drei Stunden. Viel Zeit nehmen die gesprochenen, ziemlich kitschigen Dialoge ein. „Jeder hat das Recht auf Glück“ heißt es, oder „Deine Zukunft ist jetzt“. Da wird fest auf die Tränendrüse gedrückt.

Komponist Dirk Michael Steffan hat eine Partitur mit Synthesizer-lastiger Begleitung geschrieben, die aus der Konserve eingespielt wird. So können die durchaus ohrwurmtauglichen Lieder ihre volle Wirkung kaum entfalten, zumal der Gesang zu laut aus den Boxen wummert und die Instrumente überdeckt. Stilistisch gibt es ein Allerlei, das vom Militärmarsch und mittelalterlich anmutenden Tänzen über Anklänge an Mozart oder Weill bis hin zum Schlager reicht.

Anfangs will der Funke nicht recht überspringen. Doch nach der Pause kommt Stimmung im Saal auf. Am Ende feiert das Premierenpublikum die Beteiligten mit stürmischem Applaus.

Antje Rößler

„Der Geist der Weihnacht“ (Originaltitel: „Vom Geist der Weihnacht“) (2001) // Musical von Dirk Michael Steffan

Infos und Termine auf der Website des Festspielhauses Neuschwanstein