Augsburg / Staatstheater Augsburg (November 2025) Nicolais „Lustige Weiber von Windsor“ bringen (gemütlich) zum Lachen
Sir John Falstaff bricht am Staatstheater Augsburg im wahrsten Sinne des Wortes in das kleinkarierte, bürgerliche Windsor ein. Dessen spießige Trostlosigkeit zeigt sich schon während der Ouvertüre: das gekachelte Bühnenbild, die Männer in kariertem Grünton, die Frauen in gelben Kostümen im Stile der britischen Konservativen der 60er (Ausstattung: Lena Brexendorff). Eine Welt, die an ihrer eigenen Ordnung erstickt. Frau Fluth wie Frau Reich möchten raus aus dieser, ihrer Spießbürgerlichkeit. In einer Sänfte aus Plüsch und Lametta, mit Rüschen und glitzerndem Chaos, in Leoparden-Leggings und rosa Crocs tritt nun ihre Rettung auf. Falstaff ist in Christian Poewes Inszenierung kein Bacchant, sondern vielmehr ein komischer Vogel: bunt, laut, deplatziert. Er muss sich in dieser Welt nicht beweisen oder selbst aktiv werden; sein bloßes Auftreten genügt, um sie in Bewegung zu setzen.
Lustig sind vor allem die holzschnittartig überzeichneten Figuren und deren oft slapstickhafte Aufeinandertreffen – ein Humor, der gefallen will. Wilhelm Zentner schrieb über Nicolais Oper, sie sei zu ihrem Verständnis an keinerlei Voraussetzungen gebunden; dieses Prinzip wird hier im positivsten Sinne eingelöst.
Insbesondere musikalisch überzeugt die Aufführung: Unter GMD Domonkos Héja entfalten die Augsburger Philharmoniker ein rundes, farbenreiches Klangbild, das Nicolais Partitur fein ausleuchtet. Dass in den Rezitativen die jeweilige Muttersprache der Darstellerinnen und Darsteller erklingt, bleibt überraschend verständlich, nicht zuletzt dank starker Bühnenpräsenz. Sängerisch zeigt der Premierenabend Licht und Schatten: Sally du Randt singt technisch versiert, ohne jedoch die kecke Leichtigkeit ihrer Frau Fluth ganz zu erreichen, während Kate Allen Frau Reich ausdrucksstark gestaltet. Claudio Zazzaros Fenton klingt leider gepresst, während seine Mitstreiter Markus Hauser (Dr. Cajus) und Oliver Huttel (Junker Spärlich) komödiantische Akzente setzen. Avtandil Kaspeli zeichnet seinen Falstaff mit routinierter Bassbuffo-Energie, obgleich sich Textfehler bemerkbar machen.
Trotz allem geht das Konzept der Inszenierung, die bürgerliche Welt Windsors zu überwinden, nicht so recht auf: Gezeigt wird nicht die Auflösung oder Überwindung der bürgerlichen Normen, sondern deren Fortführung in neuer ästhetischer Form. Die schrille, überbordende Singularität Falstaffs wird von allen Bürgern in ihrem Sommernachtstraum einfach kopiert – seine Andersartigkeit wird selbst zur Norm. Scheinbare Neuerungen wie ein kurzer Kuss zwischen Frauen oder die Heirat von Dr. Cajus und Spärlich bleiben Gesten ohne Sprengkraft. Gleichzeitig bleibt das Biedermeier-Bühnenbild während der gesamten Aufführung unverrückt, sodass die Inszenierung eigentlich selbst entlarvt, dass die alte Ordnung formal intakt bleibt.
Mit Andreas Reckwitz gesagt: Falstaffs Singularität wird kopiert, die Bürger erleben scheinbare Freiheit, folgen aber in Wahrheit einer neuen impliziten Norm – Transformation ersetzt Überwindung. So wird die Inszenierung zum unfreiwilligen Spiegel jener Gesellschaft, die sie überwinden will: prächtig unterhaltend und strukturell unverändert.
Hendrik Ruhe
„Die lustigen Weiber von Windsor“ (1849) // Komisch-fantastische Oper von Otto Nicolai
Infos und Termine auf der Website des Staatstheaters Augsburg
