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Beiträge 2022/05

Die singende Nation

Joseph Calleja feiert sein Land und sein 25-jähriges Bühnenjubiläum mit einem Open-Air-Spektakel auf Malta

Joseph Calleja feiert sein Land und sein 25-jähriges Bühnenjubiläum mit einem Open-Air-Spektakel auf Malta

von Iris Steiner

Eine „Opernreise“ nach Malta? Die ehemalige Oper, das „Teatru Rjal“, wurde im Zweiten Weltkrieg weitgehend zerstört und ist heute nur als Freilichtbühne in Betrieb, Maltas Nationaltheater, das „Teatru Manoel“, ist zwar eines der ältesten Häuser Europas, hat aber aktuell keinesfalls einen opernaffinen Spielplan. Skurrilerweise besitzt die winzige Nachbarinsel Gozo dafür gleich zwei Opern – im Abstand von 300 Metern und für nicht einmal 30.000 Einwohner. Die Malteser lieben das Singen, es gibt eine lebendige Gesangstradition quer durch alle Altersgruppen und auch Maltas Tenor-Star hat einen Kinderchor ins Leben gerufen, der selbstverständlich bei seinem Jubiläumskonzert zum Einsatz kam. Über allem schwebt der Wunsch, EINMAL den Eurovision Song Contest zu gewinnen …

So gesehen ist es nicht verwunderlich, dass in einem der beiden Opernhäuser auf Gozo, dem „Teatru ­Astra“, 1997 ein damals 19-jähriger Tenor namens Joseph ­Calleja sein Debüt als Macduff in Verdis „Macbeth“ gab, im selben Jahr den Belvedere-Hans-Gabor-Wettbewerb gewann, 1998 den Caruso-Wettbewerb in Mailand und ein Jahr später den CulturArte-Preis bei ­Domingos Operalia-­Wettbewerb. Spätestens jetzt wurde der Schüler des bis dahin berühmtesten heimischen Opernsängers, Paul Asciak, zu dessen Nachfolger im internationalen Operngeschäft, zum Aushängeschild seines gesangsbegeisterten Landes und 2012 sogar zum ersten von der Regierung ernannten Kulturbotschafter Maltas. Erst vor wenigen Jahren konnte man den bereits berühmten Calleja überraschenderweise noch einmal in seiner kleinen Debütrolle des Macduff erleben – an der Bayerischen Staatsoper, die auch gerne einmal Weltstars in Nebenrollen verpflichtet. „Sie haben mich gefragt“, lautet die pragmatische Antwort auf die Frage, weshalb er sich denn für so eine kleine Rolle zur Verfügung stelle. Gab es nicht auch einen nostalgischen Hintergrund? „Es war meine erste Rolle, natürlich ist die mit aufregenden Erinnerungen verbunden. Und ich halte es mit ­Pavarotti: So gut ein Macbeth auch singen mag, der Macduff hat die eine Arie im Stück, an die man sich erinnert …“

Links: St. John’s Cathedral | Rechts: Mit traditionellem Fischerboot geht’s ans andere Ufer nach Valetta (Fotos Iris Steiner)
Links: St. John’s Cathedral | Rechts: Mit traditionellem Fischerboot geht’s ans andere Ufer nach Valetta (Fotos Iris Steiner)

Widerstandsfähigkeit als hoher Wert

Am 26. Juli feierte Joseph Calleja sein 25-jähriges Bühnenjubiläum mit einem großen Open-Air-Konzert. Eine Heimkehr nach Malta oder immer wieder ein „Aufbruch in die Welt“ von hier aus? Beides, meint er verschmitzt: „Ich bin Malteser – unabhängig vom jeweiligen Aufenthaltsort.“ An seiner Seite heute wie damals: Plácido ­Domingo, der künstlerische Übervater, mit dem ihn eine ganz besondere Freundschaft verbindet. Domingo war es, der ihn entdeckte und förderte, durch Domingos Unterstützung wurde Calleja wie viele andere Sängerinnen und Sänger vor und nach ihm weltbekannt. „Plácido ist als Sänger eine Ausnahme-Erscheinung und als Förderer junger Talente einzigartig“, meint Calleja und man spürt nach wie vor die starke emotionale Verbundenheit. „Was kann man über die größte lebende Legende der Oper noch sagen, was nicht schon gesagt wurde? Er ist ein Vorbild in Geduld und Disziplin, jemand, der einem beibringt, wie man nach Niederlagen wieder aufsteht und wie man mit Rückschlägen umgeht, die früher oder später jeden von uns treffen.“

Widerstandsfähigkeit: Ein Begriff, den er auffällig oft verwendet in diesem Gespräch und der die Bindung zwischen Calleja und seiner Insel wohl am besten in Worte fasst. Dieser Schmelztiegel aus arabischer und westlicher Kultur, geprägt von seiner geografischen Lage zwischen Sizilien und Tunesien, brauchte im Laufe der Jahrhunderte viel Widerstandsfähigkeit, um zu überleben. Die megalithischen Tempel Maltas gehören zu den ältesten Zeitdokumenten der Menschheitsgeschichte. Römer, Johanniter-Ritter, Araber, Briten: Alle haben die kleine Insel erobert und zum Bollwerk eigener Interessen gemacht. „Wir sind geprägt von dieser speziellen Energie“, sagt Calleja, „solche Einflüsse fördern geistige und seelische Gesundheit und die Stärke eines Menschen“. Durch eine Corona-Erkrankung mit Long-Covid-Symptomen war er vor Kurzem zwei Monate zwangsbeurlaubt – und fühlt sich nach eigenen Angaben immer noch nicht hundertprozentig fit. „Manchmal sind im Terminkalender vier Tage Regeneration eingeplant. Ich brauche aber neuerdings eineinhalb Wochen, um wirklich wieder meine beste Form abrufen zu können.“

Ob er überrascht war, wie schlecht man den Kulturbetrieb während der Corona-Krise behandelte? „Weil die Politik das so wollte“, meint er und wirkt dabei eher gleichgültig als wütend. „Überall, nicht nur in Malta, gab es unsinnige Regeln. Zu einem Fußballspiel durfte man gehen, in die Oper nicht. Wir alle haben gelernt: Kultur ist Luxus.“ Calleja zuckt mit den Schultern, der Interviewraum im Keller des Fort Manoel wird unüberhörbar von den gewaltigen Orchesterklängen der laufenden Generalprobe geflutet. Er macht eine kurze Denkpause und fügt nicht ganz ohne Sarkasmus hinzu: „Medizinische Versorgung oder Lebensmittel sind unbedingt nötig und sicher brauchte man während dieser Pandemie auch irgendwann genug Wein, um die Probleme zu vergessen. Aber Kultur?“

Mediterran-fröhliche Jubiläumsfeier und ernsthafte Studien für Bayreuth

Joseph Calleja und Chefredakteurin Iris Steiner: Manchmal passt ein Selfie eben am besten! (Foto Iris Steiner)
Joseph Calleja und Chefredakteurin Iris Steiner: Manchmal passt ein Selfie eben am besten! (Foto Iris Steiner)

Für seinen großen Abend hat sich Calleja etwas Besonderes einfallen lassen und lässt es sich auch nicht nehmen, höchstselbst vor Ort mitzuarbeiten und etwa die Akustik der Arena während der Probe zu überprüfen. Ein Open-Air-Konzert an „einem der schönsten Orte der Insel“, beschreibt er das Fort Manoel in Gżira. Mit Recht: Einen pittoreskeren Bühnenhintergrund als den Blick aufs Meer und die gegenüberliegende Landzunge der ab 1723 erbauten Festung erlebte wahrscheinlich selbst das Malta Philharmonic Orchestra selten zuvor. Ins ausverkaufte Auditorium pilgerten vorwiegend einheimische Besucher allen Alters – die recht schmale Straße hinauf zum Fort war besser fußläufig zurückzulegen. Drinnen und draußen herrschte Volksfeststimmung, Wein, Pizza und südländisches Durcheinander inklusive. Dass die Veranstaltung mit 45 Minuten Verspätung begann, störte niemanden, letztendlich kamen alle auf ihre Kosten: Bekannte Arien sowie Film- und Tenorschlager, abwechselnd und gemeinsam vorgetragen von Domingo und Calleja, unterstützt von verschiedenen Soprankolleginnen und Kinderchor, illuster inszeniert mit einem auf Malta generell sehr beliebten Feuerwerksspektakel.

Im kommenden Jahr verkörpert Calleja, der selbst noch nie in Bayreuth war, den Parsifal in der dortigen Neuproduktion des US-Regisseurs Jay Scheib. Eine Produktion, die wegen der angekündigten Augmented-Reality-Umsetzung bereits im Vorfeld mit besonderem Interesse erwartet wird. Auch für den Malteser ist es ein besonderes Debüt an einem besonderen Ort. „Ich arbeite an dieser Rolle mit sehr großer Ernsthaftigkeit. Bayreuth ist nicht irgendein Opernhaus, es ist ein Operntempel.“ Auch in dieser Rolle ist Plácido Domingo sein Vorbild und – gefragt nach aktuellen Kollegen – „natürlich Jonas Kaufmann“. Nichtsdestotrotz: Eine persönliche Note zu hinterlassen, ist ihm wichtig. „Ich möchte dem Parsifal mit meiner lyrischen und gleichzeitig kraftvollen Stimme eine besondere Süße verleihen. Und die Kenntnis der Sprache im deutschen Repertoire ist für mich unbedingt erforderlich. Also lerne ich bereits seit geraumer Zeit ganz fleißig Deutsch.“

Talentförderer auf der Suche nach dem Lebensglück

Ist man durch ein Heimatland, das erst 1964 politische Unabhängigkeit erlangte, denn eigentlich per se politisch geprägt? „Ich liebe mein Land“, lautet Callejas überzeugte Antwort, „aber das ist mehr ein Gefühl des Stolzes. Wir sind klein und großartig – und haben viel erreicht. Politik ist da nur ein Handwerkszeug von mehreren. Leider eines, das oft missbraucht wird.“ Ein umtriebiger Botschafter „im Sinne der Sache“ ist er zweifellos: Seine „BOV Joseph Calleja Foundation“ zur Förderung junger maltesischer Künstler im Ausland hat in den acht Jahren ihres Bestehens bereits 1,5 Millionen Euro gesammelt. Wenn es darum geht, die zerstörte Valetta Oper wieder aufzubauen, ist Calleja ebenfalls federführend. Er holt berühmte Gesangs-Kollegen aus aller Welt zu gemeinsamen Konzerten ins kleine Malta und verhilft den Nachwuchstalenten des Landes durch Domingos hochangesehenen Operalia-Wettbewerb zu internationalen Karrieren.

Und was kommt jetzt noch „Neues“ nach 25 Jahren? Vielleicht im Hinblick auf das Alter seines nach wie vor umtriebigen Mentors ­Domingo? Joseph Calleja wirkt entspannt, lacht bei dem Vergleich kurz auf: „Ich lebe von Tag zu Tag und habe ehrlich gesagt ­bereits jetzt mehr erreicht, als ich jemals dachte. Was mir für die Zukunft wirklich wichtig ist – und das meine ich jetzt aus vollem ­Herzen: glücklich und gesund sein. Und mit meinem ­Kindern segeln gehen!“

Happy 25th Career Anniversary!

Dieser Artikel ist eine Leseprobe aus unserer Ausgabe September/Oktober 2022

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Ludwig, Louis und die Musik

Rap meets Beethoven im Knast: „Himmel über Adelsheim“, ein soziokulturelles Projekt des Stuttgarter Kammerorchesters

Rap meets Beethoven im Knast: „Himmel über Adelsheim“, ein soziokulturelles Projekt des Stuttgarter Kammerorchesters

von Rüdiger Heinze

Klar sei er aufgeregt. So viele Menschen wie jetzt im Stuttgarter Wilhelma Theater haben er und seine Kumpels seit Langem nicht mehr auf einem Fleck gesehen. Und der Anstaltsleitung solle ja auch gezeigt werden, dass man in den vergangenen Wochen nicht nur Kaffee getrunken hat. Außerdem: „Ich war noch nie nüchtern bei einem Hip-Hop-Auftritt draußen, das ist jetzt eine ganz neue Erfahrung für mich.“

Louis, „21 Jahre jung“, wie er selbst sagt, ist Insasse einer der größten Jugendstrafanstalten Deutschlands. Mit 417 Plätzen für männliche Straftäter plus Zusatzbetten für Untersuchungshäftlinge. Drumherum eine 1.300 Meter lange, 5,5 Meter hohe Mauer, über die von draußen schon mal (mit was auch immer) gefüllte Tennisbälle fliegen. Etliche werden abgefangen, einige nicht. Deswegen gibt es auch gelegentlich Urin-Proben. Jüngst traf es auch Louis, um 7 Uhr in der Früh und unpassenderweise am Tag des ersten Konzertauftritts. Befund: negativ, zum Glück. Im „positiven Fall“ – Louis sitzt hier, weil er Drogen vertickt hat – wäre ein 100.000 Euro teures, stark sponsorengestütztes soziokulturelles Projekt geplatzt. Denn Louis ist Protagonist und unabkömmlich bei der „Beethoven-RAPsody“ aus der Jugendstrafanstalt Adelsheim nahe Heilbronn. Einen internen Rap-Wettbewerb unter zehn Teilnehmern hatte er dort schon gewonnen, hörbares Talent und Darstellungswille sind fraglos vorhanden. Jetzt kommt Gesamtverantwortung hinzu, siehe Urin-Probe.

Nicht alle der ursprünglich 22 Insassen-Teilnehmer sind hier bei der Generalprobe zu „Himmel über Adelsheim – Eine Beethoven-RAPsody“ in einer Turnhalle der JVA noch dabei. Aktuell sind es nur noch 15, denn es gab auch Zwischenfälle mit Disziplinarmaßnahmen. Von den 15 wiederum dürfen nur neun mit leichteren Haftbedingungen zur öffentlichen Aufführung ins Stuttgarter ­Wilhelma Theater, was insofern schade ist, als es dort fünf erklatschte Zugaben geben soll. Neun können mit, aber nur acht kehren – nach Körperkontrolle – zurück nach Adelsheim. Für einen heißt es mit dem finalen Klatscher: Entlassung. Dieser Eine übrigens bleibt um des Projektes Willen zwei Nächte länger in der JVA als vorgesehen. Das kann man guten Gewissens schon mal als einen Erfolg des ganzen Unternehmens verbuchen.

Rap, Klassik, Tanz, Pantomime, Breakdance, Chorgesang, Beatbox – und ganz viel Spaß (Foto Oliver Röckle)
Rap, Klassik, Tanz, Pantomime, Breakdance, Chorgesang, Beatbox – und ganz viel Spaß (Foto Oliver Röckle)

„Drinnen und Draußen“ – Begegnung auf Augenhöhe

Maßgeblich auf die Beine gestellt wurde das Projekt vom Stuttgarter Kammerorchester – und zwar aus der Überlegung heraus, welche gesellschaftlich randständigen Gruppen partizipativ mit dem Ensemble tätig werden könnten. Um Kunst geht es im speziellen Fall natürlich auch, vor allem aber um „Sozialarbeit, und zwar zu 90 Prozent“, wie es Katharina Gerhard formuliert, die für das Vermittlungsprogramm des ­Stuttgarter Kammer­orchesters zuständig ist. Das heißt konkret: Stärkung von Ausdrucksfähigkeit und Selbstbewusstsein, Stärkung der Konzentration und der sozialen Umgangsformen.

Und so treffen nun Beethoven auf Rap und eineinhalb Dutzend feinsinnige Streicher des Orchesters sowie die Chordamen der Musikschule Möckmühl auf markige, sichtbar nervöse Jungs. Eine durchaus reizvolle, aparte, kurzweilige Gemengelage. Ebenfalls dabei sind Mitarbeiter der JVA, ein Seelsorger und eine Verwaltungssekretärin im Chor, ein Werkmeister auf der türkischen Laute, ein Vollzugsbeamter als Breakdancer: alles in einem „Rap im Knast“-Workshop erarbeitet, wie ihn bundesweit Danny Fresh, im wirklichen Leben Daniel Ohler, anbietet. Wichtig ist, dass sich „Drinnen und Draußen“ – soweit möglich – auf Augenhöhe begegnen und Respekt zeigen vor dem Gegenüber und dessen Können. Es geht um Gemeinsamkeit, so wie auch zehn „externe“ Lehrlinge die JVA zur Berufsausbildung täglich besuchen. Regisseurin Nina Kurzeja beteuert, dass es – eben aufgrund der verabredeten Augenhöhe – bei szenischen Anweisungen nie Akzeptanz-Probleme gegeben habe. Womöglich ist das draußen in der Freiheit im Zweifelsfall noch anders als bei diesem, übrigens ausschließlich von Frauen geleiteten, Musikprojekt im Knast. Neben Kurzeja und Gerhard sind auch noch Dirigentin ­Viktoriia ­Vitrenko und Ausstatterin Marie ­Freihofer mit von der Partie.

„Nur wer die Sehnsucht kennt“ – eine Fusion geht unter die Haut

Und dann hebt sie an, die Show, deren Texte nicht zensiert sind. Darauf legt der JVA-Leiter, Regierungsdirektor Dr. Nikolas Blanke, Wert. Obwohl sie in manchem Detail nicht seinen eigenen Überzeugungen entsprechen. Gut möglich, dass er damit solche Rap-Zweizeiler meint: „Mit Sechzehn dachte ich, ich hätte alles im Griff – doch wurde vom Schicksal gefickt.“ Wichtiger jedenfalls waren Blanke der individuelle Ausdruck von Erfahrungen und Gefühlen in einer jeweils passenden Form bis hin zum Gangsta-Rap. Das Textbuch zur Aufführung vermerkt denn auch geflissentlich-fettgedruckt: „Selbst ein Genie wie Beethoven hatte durch seine chaotische Lebensweise Probleme mit der Staatsgewalt.“ Da treffen sich dann Ludwig, Louis und die Musik. Alles ist Collage und Fusion: Rap, der Klassik-Titan mit Kunstliedern und seinem chorisch aufgeführten Streichquartett „serioso“, op. 95, Tanz, Pantomime, Breakdance, Chorgesang, Beatbox.

JVA trifft Kammer­orchester: ein geglücktes Experiment mit Vorbildcharakter (Foto Oliver Röckle)
JVA trifft Kammer­orchester: ein geglücktes Experiment mit Vorbildcharakter (Foto Oliver Röckle)

Einiges davon hört man in dieser besonderen Umgebung vollkommen neu, etwa Beethoven und seine Vertonung von „Nur wer die Sehnsucht kennt, weiß, was ich leide“ oder seinen „Erlkönig“ („Gar schöne Spiele spiel’ ich mit dir“, „Und bist du nicht willig, so brauch’ ich Gewalt“). Aber: Beethoven ist schön und gut und wahr. Unmittelbar eindrücklicher, energetischer vor der gegeben-abgesperrten Situation ist so mancher selbstverfasste Rap – beziehungsweise deren gemeinsame Nenner. Hört eine genau hin, liest einer genau nach, so sticht in Ohr und Auge, was immer wieder Gegenstand der rhythmisch-straighten Songs ist: die Tränen der Mütter über den verlorenen Sohn, dazu eine besungene innere Leere. Beides macht nachdenklich – vor allem im Verbund mit Geständnissen, Selbstbezichtigungen („Meine Versprechen, ja, sie waren immer mangelhaft“), Credos („Ich schaue dem Teufel in die Augen, um Gott wieder zu sehen“), Erinnerungen („Es war ’ne schöne Zeit. Als ich nach Hause kam, gab es immer was Warmes zu essen“), Plänen („Hab’ ein Kind, deshalb muss ich jetzt ein Vorbild sein“). Sätze, die beklemmen, Sätze, die rausmüssen auf der Folie der Kunst. 50 Prozent der jungen Insassen (Durchschnittsalter: 20 Jahre) haben denn auch ein Broken-Home-Leben hinter sich. Beethovens „Fidelio“ spielt da keine Rolle, wir haben es nicht mit politischen Gefangenen zu tun. Erstaunlich blass jedoch ist im Gesamtzusammenhang der ins Boot geholte Profi-Rapper „Afrob“, sowohl vokal wie körpersprachlich. Meint auch der 19-jährige Slako, Gefangener mit Heimat Konstanz: „Absolut unauthentisch.“

Tamara Scherer, Sozialarbeiterin und Freizeitpädagogin in der JVA Adelsheim, spricht einen bemerkenswert zweigeteilten Satz: „Die Jungs sind begeisterungsfähig für alles – Hauptsache raus aus der Zelle.“ Louis, der nicht mehr viel Zeit im Knast vor sich hat, wenn der Richter mitspielt, widerspricht dem nicht. Er, der Hip-Hopper, sei am Anfang nicht ganz mit Herz und Seele dabei gewesen. Aber er wisse genau, was für ihn zu tun sei demnächst. Erstens: Bewährung einhalten. Zweitens: die Verwirklichung seines Traumes, Musik zu machen. „Dafür ist das Projekt doch schon ein ganz guter Anfang.“ Wobei: „Der deutsche Mainstream-Rap ist nichts für mich.“ Wir drücken die Daumen, er hätte die Chance verdient …

Es gibt übrigens bereits Nachfrage nach württembergischen Folgeprojekten. Vielleicht ja das nächste Mal in der Frauenhaftanstalt Schwäbisch Gmünd?


Lieber Louis und all die anderen,

ich denke, Ihr lest das irgendwann. Deshalb: Vielen Dank für Eure beeindruckende Performance – „großes Kino“! Ihr habt gezeigt, was ihr draufhabt. Vergesst später nie, wie sich das angefühlt hat, auf dieser Bühne zu stehen – vor allem, wenn „draußen“ das Leben schwierig wird. Man kann sehr viel schaffen, wenn man wirklich will und sich dafür reinhängt. Nicht alles klappt auf Anhieb und immer – bei niemandem. Niederlagen sind keine Schande. Von Herzen alles Gute für Euch, Ihr habt unseren Autor und mich schwer geflasht an diesem Nachmittag!

Iris Steiner, „orpheus“-Redaktion

Dieser Artikel ist eine Leseprobe aus unserer Ausgabe September/Oktober 2022

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