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Rezensionen 2023/03

Verkopft

Dresden / Semperoper Dresden (Februar 2023)
Aribert Reimanns „Gespenstersonate“ gibt Rätsel auf

Dresden / Semperoper Dresden (Februar 2023)
Aribert Reimanns „Gespenstersonate“ gibt Rätsel auf

Mit Wahrheit und Schein befasst sich die Semperoper Dresden in Aribert Reimanns Kammeroper „Die Gespenstersonate“ nach dem gleichnamigen Schauspiel des schwedischen Dramatikers August Strindberg. Es ist das zweite Werk von Reimann, das sich nach dem „Traumspiel“ von 1965 auf Strindbergs Dramen stützt. Dabei vermischt sich Gespenstisches und Reales zu einem untrennbaren, nicht mehr zu unterscheidenden Ganzen. In der Dresdner Erstaufführung agieren die Sängerinnen und Sänger auf einer leeren Drehbühne, direkt vor den Augen des auf drei Reihen in Semper Zwei, der kleinen Spielstätte der Semperoper, sitzenden Publikums. Dafür wählt Judith Adam verschiebbare Wände, die sich auf drei übereinanderliegenden Podien befinden und differenzierte Einblicke ins Geschehen ermöglichen. Die meisten Kostüme gleichen der Alltagskleidung, teilweise werden sie auch auf die Funktion der Figur, wie die Uniform des Obersten, bezogen. Requisiten kommen nur spärlich zum Einsatz, so eine Parfümflasche, ein Stapel Zeitungen oder der Vogelkäfig der Mumie.

Musikalisch gesehen handelt es sich um ein unmelodiöses und für die Singenden auch rhythmisch schwer zu interpretierendes Werk, das sich außerhalb der Tonalität bewegt. Diese erhöhten Anforderungen meistern alle Darstellenden bravourös. Allen voran Andrew Nolen in der Hauptpartie des Alten, mit dunklem sonorem Bass, absolut sicher und auch schauspielerisch die perfekte Verkörperung dieser Rolle. Michael Pflumm als Student Arkenholz besticht durch seinen ausdrucksstarken Tenor und beweist in plötzlichen Ausbrüchen eine brillante Höhe. Jürgen Müller im Kostüm des Obersten, kurz demaskiert in Unterwäsche, agiert stimmlich etwas zu dröhnend für den kleinen Saal, fast könnte man es als Schreien bezeichnen, was wiederum auch andere Sänger zur Erhöhung der Lautstärke hinreißt. Sarah Alexandra Hudarew als Mumie, deren Kopf in einem Vogelkäfig steckt und die papageienhafte Laute von sich gibt, beeindruckt durch sichere Stimmführung und fulminante Leichtigkeit. Daneben bestechen in kleinen Partien Jennifer Riedel als Fräulein, Philipp Nicklaus als Johansson, Matthias Henneberg (seit 1985 am Haus) als Bengtsson, Milena Suhl als dunkle Dame und Eva Maria Summerer als Köchin. Fräulein Holstenkrona, die Portiersfrau, das Milchmädchen und der Konsul werden durch Statisten verkörpert. Zumeist singt ein Darsteller und ein anderer spricht die Partie geisterhaft-stumm mit.

Das Projektorchester unter Yura Yang, das hinter dem Publikum positioniert ist, vollführt sich ständig wiederholende, ohrenbetäubende und undefinierbare Klänge, die man nur als hintergründiges Getöse wahrnimmt. So wirkt die sehr statische, weil zu verkopfte Inszenierung von Corinna Tetzel kaum gespenstisch, eher unbeweglich. Das Publikum bleibt ratlos zurück.

Dr. Claudia Behn

„Die Gespenstersonate“ (1984) // Kammeroper von Aribert Reimann

Im ewigen Winter

Berlin / Staatsoper Unter den Linden (Februar 2023)
Romeo Castellucci betont den ökologischen Sinn in Richard Strauss’ „Daphne“

Berlin / Staatsoper Unter den Linden (Februar 2023)
Romeo Castellucci betont den ökologischen Sinn in Richard Strauss’ „Daphne“

Im Tempe-Tal rieselt der Schnee, erst leichter, dann immer stärker, bis er auch den Orchestergraben erreicht. Zuerst erinnert das noch an alte Bilder göttlicher Inspiration: Erleuchtete Flocken fliegen den Menschen zu. Später eher an einen Schneesturm. Es ist eine noch recht poetische Welt, in die man so entführt wird, in welcher der Gott immerhin ein Gott sein könnte. Die Rollengestaltung von Pavel Černoch als Apollo – ernst, getragen, mit tiefem Ansatz und großen Gesangsflügeln – gibt dazu einigen Anlass, ebenso seine ritualisierte Gestik wie aus dem Ägypten-Comic. Bei Anna Kissjudits Gaea wirkt das Tief-Getragene anfangs etwas aufgesetzt, kommt nicht recht vom Fleck.

Das geht wohl auch auf das Pult der Staatskapelle Berlin, an dem Thomas Guggeis nicht immer die Mitte zwischen schönem Strauss-Skizzen-Ton und der direkten Präsenz der Musik im Raum findet. Das naturhafte Sich-Verströmen des Orchesters klingt durchaus. Aber glaubt man am Ende an das Drama? Dafür zögert Guggeis zu oft in der Tiefe. Abgetönt, wie abgewandt beginnt das schon mit einem orgelartigen Holzbläser-Ensemble, um sich dann noch über weite Strecken in der Privatheit des Streicherklangs fortzusetzen. Die Interaktion zwischen Daphne und ihrem menschlichen Verehrer Leukippos gerät darüber zum Duodrama, wozu auch die liedhafte Interpretation von Magnus Dietrich beiträgt. Vera-Lotte Boecker folgt den Jugendstil-Fiorituren ihrer Partie mit Nachdruck, verwirklicht gelegentlich das Freischwingende in der Mittellage. Daneben ist ihr noch mehr Weite für die großen Anstrengungen zu wünschen.

Später müht sich René Pape als immer noch gewaltiger Flussgott im Ruhestand redlich, die erhabene Tiefe, die Guggeis fehlen lässt, zu erzeugen. Schön die Szene der beiden Mägde (Evelin Novak und Natalia Skrycka), die mit Komödiantengeist und gesanglichem Wagemut beeindrucken. Auch die Ambivalenz der Verführungsszene zwischen Apollo und Daphne in lau bleibenden Holzbläsertönen gelingt und ist zudem raffiniert inszeniert wie eine Szene im Hollywood-Code der vierziger Jahre.

Insgesamt eine Leistung, die sich sehen lassen kann, auch wenn manches noch mehr fließen könnte und man etwas alleingelassen wird mit der Bühnensymbolik. Was soll die Herme, auf der erst „ER“, dann „SIE“ steht? Warum steht im Futter von Apollos Wendemantel „VERA“? Und ja, warum ist der Mythos von der Lorbeerdame in einen locker-verschneiten Winter entrückt? So blüht die Rebe sicher nicht. Man kommt also auf Umwegen dazu, dass diese Handlung für Regisseur Romeo Castellucci allenfalls eine virtuelle Realität besitzt, auch wenn es durchaus nach Antike riecht und einzelne Bäume und Strauchwerk an Daphnes Freunde erinnern.

Mitten im Finale, das die Transformation Daphnes zum Thema hat, schultert die Titelrolle, uns abgewandt, das Titelblatt von T. S. Eliots „The Waste Land“. Das Programmheft zitiert aus dem Gedicht: „Nichts zeugt von Sommernächten. Die Nymphen sind fort.“ Am Ende dominiert der ökologische Sinn der Fabel. Kein friedlicher Eingang in die Natur ist da möglich. Auch Daphne wird zur erdverschmierten Öko-Terroristin. Der Baum hängt entwurzelt in der Luft.

Matthias Nikolaidis

„Daphne“ (1938) // Bukolische Tragödie von Richard Strauss

Infos und Termine auf der Website der Staatsoper Unter den Linden