Für den auf Hawaii geborenen Sänger Jordan Shanahan, der seit 2013 in der Schweiz lebt, lautet auch nach acht Monaten Pandemie-Zwangspause inklusive diverser Premierenverschiebungen das Motto „Mit voller Kraft voraus“. Nicht nur im klassischen Standardrepertoire, sondern vielfach auch in zeitgenössischen Opern überzeugte der Bariton dank seiner virtuosen Bandbreite in den letzten Jahren an namhaften Opernhäusern weltweit. Jetzt wartet mit dem von Sandra Leupold in Graz inszenierten „Holländer“ (Premiere am 13. März 2021) eine weitere prominente Titelpartie, nächste Verträge führen ihn im hoffentlich wieder Corona-freieren 2021 auch nach Düsseldorf, Essen und Wiesbaden sowie erneut als Rigoletto in Philipp Stölzls umjubelter Inszenierung auf die Bregenzer Seebühne. In Zukunft stehen daneben auch der „Ring“ an der Deutschen Oper Berlin und am Opernhaus Zürich sowie last but not least sein Covent-Garden-Debüt in der Rolle des Jochanaan an.

von Renate Baumiller-Guggenberger

Mit weit über 70 Hauptrollen im klassischen und zeitgenössischen Bariton-Repertoire hat sich Jordan Shanahan ein bemerkenswert tragfähiges, bewusst breitgefächertes Fundament erarbeitet: „It’s a lot of study!“, wie er mit einem Schmunzeln bilanziert. Wenn man ihn auf seine im europäischen Opernbetrieb womöglich leicht „exotisch“ anmutende Heimat anspricht, antwortete er, dass er durchaus stolz darauf ist, auf Hawaii geboren zu sein, dies aber im gegenwärtigen Berufsalltag als Künstler keine besondere Relevanz haben sollte.     

„Mein Deutsch habe ich mit Richard Wagner gelernt …“

„Bei meinen Deutschkenntnissen habe ich mich insbesondere an den Libretti von Richard Wagner orientiert“, entschuldigt er sich zu Beginn unseres Interviews mit einem Augenzwinkern. Nach seinem Solistendebüt im Jahre 2002 und zahlreichen Verpflichtungen in den Vereinigten Staaten entschied sich Shanahan zunächst für das bislang einzige Festengagement im Schweizerischen St. Gallen. Der Schweiz blieb er auch danach zumindest privat treu und lebt jetzt gemeinsam mit seiner Frau in Bern, die am dortigen Theater als Sängerin engagiert ist. Er freut sich sehr darüber, dass er im kurzen Zeitfenster zwischen Lockdown 1 und Lockdown 2 am Berner Theater Mitte Oktober als Jago in Verdis „Otello“ auf der Bühne stehen konnte. Womöglich noch größer dürfte die Freude allerdings sein, demnächst erstmals Papa zu werden.  

Jordan Shanahan
(Foto Adrian Beck)

Ein müheloser, gesunder Klang der Stimme

Richard Wagner und sein Werk hat natürlich nicht nur als sprachlicher Impulsgeber einen gewichtigen Stellenwert für Shanahan, der in absehbarer Zeit auch Wotan Gestalt und Stimme verleihen will. Er geht mit diesem Ziel vor Augen bewusst und gerne den Weg über Alberich, Amfortas, Wolfram oder den oben erwähnten und derzeit die Probenagenda dominierenden Holländer. Gleichzeitig will sich der Künstler nicht auf die Arbeit an den Werken nur eines einzigen Komponisten fokussieren. Ganz entschieden auch im Dienste der Stimmpflege und -kultur: Um seine Stimme, die von der Presse als überbordend und vital gerühmt wird, flexibel zu halten und zu trainieren, ist die Beschäftigung mit unterschiedlichen Genres und Stilen und damit die komplette Bandbreite der vorhandenen Bariton-Literatur nötig und wichtig.

„Ich liebe neben Wagner eben auch das italienische, das französische oder russische Repertoire, beschäftige mich mit Barockmusik ebenso wie mit bestimmten Musicals“, so Shanahan, der sich zum Grundsatz „Take care of your body and the body takes care of your voice“ bekennt und konsequent danach lebt. Seine gesunde Einstellung deckt sich dann auch mit der Idealvorstellung des stimmlichen Klangs. Angepasst an den jeweiligen musikalischen Stil der Partitur, soll das Publikum seine Stimme als so natürlich und mühelos („as healthy as possible“) wie möglich wahrnehmen.  

Wie entscheidend ist ein gutes Management für die Karriereplanung?

Während der achtsame Umgang mit dem wertvollen körpereigenen Instrument Stimme weitgehend in den Händen eines Sängers liegt, scheint hingegen die Karriere nicht immer so selbstbestimmt zu verlaufen. Wie planbar war und ist für einen Bariton, der wie Jordan Shanahan bewusst als freischaffender Künstler unterwegs ist, die berufliche Laufbahn und wie entscheidend ist dabei ein gutes Management? Nach diversen, meist positiven Erfahrungen, ist für den Künstler die Vertretung durch seine langjährig etablierte Agentur, die in Zürich ansässige „Balmer & Dixon Management AG“, ein absoluter Glückstreffer. Mit seinem Agenten Florian Krumm erlebt er den Idealfall einer höchst kompetenten und nachhaltigen Zusammenarbeit und einen bereichernden, verlässlichen sowie vertrauensvollen Austausch. Er weiß sich hier – und das „quasi zu jeder Tages- und Nachtzeit“ – optimal betreut und beraten, wo es um das stimmige Timing, um die richtigen und wichtigen Stücke und Häuser geht, um so die Stimme und damit die gesamte Künstlerkarriere in die gewünschte Richtung zu entwickeln.

Über das Posaunen- und Kompositionsstudium zum Gesang

Ursprünglich hatte Jordan Shanahan ganz andere musikalische Pläne verfolgt. Er studierte an der Universität in Mānoa in seiner Heimat auf Hawaii Posaune und vertiefte das Instrumentalstudium mit drei weiteren Jahren Kompositionslehre. In diesem Rahmen wurde sein stimmliches Potential mehr oder weniger zufällig entdeckt. Was das Singen betraf, fühlte er sich seit dem frühen Stimmbruch mit elf Jahren eher „traumatisiert“ und hatte seither keinen Ton mehr gesungen. Umso überraschender kam denn auch die dringliche Empfehlung eines Dozenten, sich fortan vorrangig auf ein Gesangsstudium zu konzentrieren. Von der beim Posaunenspiel erlernten Atemtechnik profitiert er natürlich bis heute, spielen würde er allerdings nur noch zum Spaß. 1998 ging Shanahan mit einem Vollstipendium als Sänger an die Temple University in Philadelphia, nach seinem Abschluss u.a. an die Orlando Opera, die Santa Fe Opera und schließlich an das Ryan Opera Center der Lyric Opera Chicago. Ein kleiner „Nebeneffekt“ seiner vielseitigen Ausbildung: Sie kommt unter anderem Projekten mit zeitgenössischer Musik sehr zugute, weshalb Komponisten und Dirigenten wie Péter Eötvös ihn immer wieder gerne dafür anfragen. 2019 und 2020 sind zwei CD-Aufnahmen mit „Senza sangue“ (Eötvös) und „Das Schloss Dürande“ (Schoeck) international verlegt worden – nachzuhören etwa auf den bekannten Streaming-Diensten.

Jordan Shanahan
Als Escamillo in Bizets „Carmen“ (Foto Tanja Dorendorf / T+T Fotografie)

Ein komplex informierter Sänger

Facettenreiche Erfahrungen im amerikanischen Opernbetrieb waren dann auch prägend für die Art und Weise seines Rollenstudiums. Man findet in Shanahan einen wirklich komplex informierten Sänger, der neben der reinen Gesangsarbeit auch meist so ziemlich alles über den musikhistorischen Background des Werks recherchiert hat. Mittels einer detaillierten Libretto-Lektüre nähert er sich dem Charakter und der Psychologie der Opernfiguren an – in seinem Stimmfach sind das häufig die Schurkenrollen –, hört historische Aufnahmen, macht sich mit dramaturgischen Finessen und Facetten der Komposition vertraut und entwickelt dabei entsprechend auch schon eine recht konkrete Vorstellung seiner Figurenanlage. Shanahan sieht das als Verantwortung des Darstellers der Rolle gegenüber, in jeder Operninszenierung sollte das Erforschen der Beweggründe, das „Warum bin ich so“ der handelnden Personen, sicht- und hörbar gemacht werden. „Ich möchte auch meine ‚Schurken‘ nicht eindimensional darstellen, sondern immer so vielschichtig, wie es die Partitur zulässt. So, dass deutlich wird, wie sehr sie glauben, mit ihrer Haltung und ihrem Agieren im Recht zu sein.“

Den Fokus auf das Erzählen einer guten Story hat Shanahan auch in der Zusammenarbeit mit Regisseurinnen und Regisseuren erfahren dürfen – zuletzt etwa Markus Bothe in Philippe Boesmans` Oper „Reigen“ oder Anja Nicklich im Berner „Otello“. Im Mittelpunkt: Oper als Gesamtkunstwerk und damit eine ausgewogene Balance der Summe aller künstlerischen Prozesse und Mitwirkenden. Jordan Shanahan trägt mit seiner Einstellung und der intensiven Bühnenpräsenz einen sehr wesentlichen Part zu einer solchen Inszenierungsform bei. Ein kleines Beispiel gefällig? In der Neuen Züricher Zeitung beschrieb ihn die Kritikerin Anna Kardos als „höllisch gut gesungenen und gespielten Intriganten, dessen abgrundtiefe Bosheit locker für ein paar Tote mehr gereicht hätte“. Dem ist wenig hinzuzufügen außer dem Wunsch, seine rundum positive Ausstrahlung, sein stimmliches und darstellerisches Potential im dramatischen Fach, auf das sich Shanahan zunehmend konzentriert, baldmöglich wieder live und analog auf den diversen Brettern, die für uns alle die Opernwelt bedeuten, miterleben zu dürfen!