In München steht ein Hofbräuhaus – und eben kein Konzerthaus, wenn es nach den neuesten Plänen der Bayerischen Staatsregierung geht. Eine plötzliche Kehrtwende mitten in laufender Planung. Zukunftsvision: Fehlanzeige

von Iris Steiner

Ein „Langzeitprojekt für kommende Generationen“ sollte es werden und das weltweit erste Konzerthaus mit vollkommener Ausrichtung auf das Zeitalter der Digitalisierung. Ein Haus der Musik und der Musikvermittlung, darüber hinaus kreativer Gestaltungsort für innovative Kunstformen. Noch Mitte 2021 seitens der Bayerischen Staatsregierung als „Jahrhundertprojekt“ gefeiert und vom Bayerischen Landtag abgesegnet, macht Ministerpräsident Söder jetzt einmal mehr das, was er am liebsten tut: einen medienwirksamen Alleingang ohne Vorankündigung. Ist diese von oben verordnete Denkpause denn wirklich nötig? Wäre es nicht eher ein Fall für den Bayerischen Obersten Rechnungshof, wenn leichtfertig Millionen für Planung und Erbpacht bewilligt wurden? Nicht nur die eigens gegründete „Stiftung Neues ­Konzerthaus München“ läuft Sturm, auch die Opposi­tion im Bayerischen Landtag will das so nicht stehen lassen. Wir fragen den kulturpolitischen Sprecher der FDP im Bayerischen Landtag und Kunstminister a.D., Herrn Dr. Wolfgang Heubisch.


Dr. Wolfgang Heubisch (Foto FDP-Fraktion im Bayerischen Landtag)

Warum spricht Ministerpräsident Söder in der Öffentlichkeit ausschließlich von einem Konzertsaal, obwohl es sich um ein ganzes Konzerthaus mit eigener künstlerischer Konzeption handelt? Übrigens hat er noch im Juni 2020 selbst genau damit argumentiert …
In der Vergangenheit wurde das umfassende Gesamtkonzept selbst in der öffentlichen Diskussion leider etwas flapsig oft auf den großen Saal reduziert – wir reden aber von einem Haus mit drei Sälen. Entweder hat das selbst der Ministerpräsident bisher noch nicht ganz verstanden, oder er bedient sich bewusst dieser irreführenden Rhetorik. Erwartungsgemäß bekam er viel (mediale) Zustimmung bei seinem Vorstoß, derartig hohe Ausgaben für einen Orchester-Konzertsaal in der heutigen Zeit infrage zu stellen. Dass er andere wichtige – vielleicht sogar die entscheidenden – Funktionen des Hauses nicht einmal erwähnt, macht im Sinne seiner Argumentation natürlich Sinn. Den vergleichsweise geringen Anteil von Konzertbesuchern in der Bevölkerung zu vernachlässigen, bringt wenig Nachteile im Hinblick auf die Landtagswahlen. Schwieriger würde es dann schon bei den Folgen öffentlichen Opponierens gegen eine bayernweit einzigartige, zukunftsweisende Bildungsstätte, die das Konzerthaus ja auch ist. Es macht also taktisch Sinn, diesen Aspekt aus der öffentlichen Debatte möglichst herauszuhalten.

Im Juli 2021 hat der Bayerische Landtag mitten in der Pandemie einvernehmlich beschlossen, die Planung des Konzerthauses fortzusetzen. Wieso argumentiert Ministerpräsident Söder neuerdings, dass die Quasi-Absage eine Reaktion auf die veränderte Situation infolge der Pandemie ist?
Ich halte das für eine Hilfsbegründung, um seine Grundthese zu stützen. Selbst in der Hochphase der Pandemie sprach man an offiziellen Stellen des Kunstministeriums immer von einem „absoluten Superprojekt“. Zeitlich passt die Begründung überhaupt nicht, das sehen Sie völlig richtig. Die hat er sich wohl ausgedacht – und dann gleich den neu installierten Kunstminister Blume zur weiteren Abarbeitung in seinem Sinne vorgeschoben.

Trotzdem wird offensichtlich unverändert weiter geplant, 36 Millionen Euro sind bereits ausgegeben und noch immer arbeiten etwa 100 Menschen am Projekt Konzerthaus – Fachplaner, Akustiker und Raum­klimaspezialisten. Und dass, obwohl es quasi schon „beerdigt“ ist. Wie würden Sie das nennen, wenn nicht „Steuergeldverschwendung“?
Das wüsste ich auch gerne. Vor allem wäre interessant, was diese „Zeit zum Nachdenken“ genau bedeutet, von der Söder immer spricht. Auf jeden Fall eine ganz enorme Kostensteigerung. Ich kann nur spekulieren, dass es sich möglicherweise um bewusstes Verzögern und geplantes Beerdigen direkt nach der Landtagswahl 2023 handelt. Denn wenn ein neuer Kunstminister als erste Amtshandlung eine derartig deutlich ablehnende Aussage macht, wie Markus Blume das in dieser Sache getan hat, ist es zweifellos der thematische Supergau. Ich wüsste auch nicht, wie ein von Fachleuten entwickeltes Zukunftskonzept aus optimaler Musikdarstellung, diversen Studiengängen und kultureller Bildung durch „Nachdenken“ seitens der Staatsregierung verbessert werden könnte. Keine Ahnung, auf welche göttlichen Eingebungen man da wartet.

Sie hatten es bereits angesprochen, Ministerpräsident Söder hat vor Kurzem ausgerechnet die Bau­ministerin und den Kultusminister in seinem Kabinett ausgetauscht, drei Wochen später dann öffentlich vom größten Kulturbauprojekt Bayerns Abstand genommen. Sehen Sie da einen Zusammenhang?
Ich will das nicht ganz ausschließen, weiß aber auch, dass er das Projekt in dieser Art bereits früher infrage gestellt und erneut geprüft haben wollte. Kunstminister Sibler war im Gegenzug immer ein großer Befürworter und sprach von einem „Jahrhundertprojekt“. Die eigentliche Kommunikationskatastrophe dieser kompletten Meinungsumkehr hat Söder dem Nachfolger überlassen und einen Tag später selbst in einem Zeitungsinterview begründet.

Es gab vor Kurzem die populistisch inszenierte Aussage Söders, dass der Bau am Ende eine Milliarde Euro kosten wird, prognostiziert und belegt wurden im vergangenen Jahr allerdings 580 Millionen. Wie begründet der Ministerpräsident diese derartige Kosten­explosion in so kurzer Zeit – und wie belegt er seine Zahl?
Söder denkt in medialen Aufschlägen. Er weiß, wenn er mit einer Milliarde Euro Kosten für einen Konzertsaal argumentiert, wird das eine prominente Meldung. Er versucht, mit einem Satz zu sagen, dass ihm das alles viel zu teuer ist. Der Verweis auf die Kostenexplosion beim Bau der Hamburger Elbphilharmonie hinkt in diesem Zusammenhang übrigens sehr. Die Hamburger haben zwar steigende Kosten ebenfalls scharf diskutiert, trotzdem immer wieder aufgestockt und damit genau den Kommunikationsschock verhindert, den Söder hier fast schon provoziert. Und schauen Sie doch mal, die „Elphi“ wurde bereits nach kurzer Zeit ein Wahrzeichen Hamburgs, Publikumsmagnet und ein wirtschaftlicher Erfolg. Man hat die Öffentlichkeit über alle Schwierigkeiten informiert und positiv in die Zukunft argumentiert – weil man das Gebäude wollte. Das ist der Unterschied. Ab und zu wird zwar auch bei uns verschiedentlich darauf hingewiesen, dass die genannte Milliarde völlig aus der Luft gegriffen sei. Aber so richtig „platzieren“ lässt sich das Thema nicht. Ich persönlich halte das Vorgehen des Ministerpräsidenten in diesem Fall für höchst unseriös. Ich befürchte, dass es negative Folgen hinsichtlich der gesellschaftlichen Akzeptanz von Großprojekten – nicht nur kultureller Art – haben wird: bei Initiatoren, in der Bevölkerung, bei privaten Förderern und Freundeskreisen, bei Sponsoren und im bürgerschaftlichen Engagement.

Bleiben wir noch ein wenig bei Söders medialer Strategie. Er spricht durchwegs von einem „Konzert­tempel“ – und müsste eigentlich wissen, dass es das genau nicht ist, sondern ein niederschwelliges Konzept mit Schwerpunkt auf Bildung und zukunfts­weisender Digitalisierung.
Es wurde in einigen Medien und auch von uns in der Opposition immer wieder darauf hingewiesen, dass diese Darstellung zumindest unvollständig ist. Leider war die Resonanz in der Bevölkerung schwach und auch die Medien behandeln Kulturthemen recht stiefmütterlich. Der Begriff „Kulturtempel“ ist hier gleichzeitig populistisch und kontraproduktiv, klingt unterschwellig elitär und versnobt. Söder setzt noch einen drauf und formuliert neuerdings dauernd, dass er sich „in der Leberkäs-­Etage“ befindet – was auch immer das bedeutet – anstatt transparent und ehrlich den (manchmal leider kostspieligen) Wert von Kultur für uns alle zu formulieren. Auch der neue Konzertsaal in Nürnberg fiel übrigens diversen Einspar-Argumenten zum Opfer. Man sieht deutlich, dass Kulturprojekte ganz klar nicht ­Söders Schwerpunkt sind, viel lieber benutzt er Begriffe wie „Hightech Agenda“. Ich würde auch das voll unterstützen. Nur: So einseitig darf man nicht denken. Und bei Kunstminister Blume fehlt mir bis heute ebenfalls der Nachweis, dass er die Kultur als Wert für unsere Gesellschaft schätzt. In dem Punkt etabliert er sich eher als Lautsprecher seines Herrn.

So sollte es aussehen, das Münchner Konzerthaus auf dem ehenmaligen Pfanni-Gelände im Osten der Stadt (Foto Renderings Bloomimages für Cukrowicz Nachbaur Architekten ZT GmbH)

Bei dem Grundstück, auf dem das Konzerthaus gebaut werden soll, handelt es sich um einen Erbpachtvertrag mit einer Mindestlaufzeit von 88 Jahren und 600.000 Euro jährlichen Mietkosten. Darüber hinaus besteht die vertragliche Verpflichtung zum Bau eines Konzerthauses. Beschlossen übrigens unter Leitung des damaligen Finanzministers Söder …
Aufgrund des Index-Mietvertrages sprechen wir heute schon von fast 700.000 Euro und ja, auch die Nutzung als Standort für das Konzerthaus ist Vertragsbestandteil. Wenn das jetzt nicht kommen sollte, wird man dem Grundstückseigentümer an anderer Stelle entgegenkommen müssen oder freiwillig einen Aufpreis für eine mögliche Umnutzung bezahlen. Es handelt sich um einen sehr vermieterfreundlichen Vertrag, die Komplettaufgabe des Projektes auf diesem Grundstück hat ganz sicher die eine oder andere kostenintensive Konsequenz.

Die Stadt München war nie begeistert vom Standort auf dem ehemaligen Pfanni-Gelände im Osten. Erwartungsgemäß ruhig verhält sich der Münchner (SPD)- Oberbürgermeister Reiter. Halten Sie den Vorschlag, die Interimsspielstätte Isarphilharmonie länger als vorgesehen zu nutzen, für eine gute Idee?
Schon unter Seehofer hat man versucht, eine gemeinsame Lösung mit der Stadt München zu finden, die den sanierungsbedürftigen Münchner Gasteig mit einbezieht. Diese Gespräche wurden mit der Begründung abgebrochen, dass zwei so unterschiedliche Orchester wie das des Bayerischen Rundfunks und die Münchner ­Philharmoniker nicht gleichberechtigt in einem Saal unterzubringen sind. Allerdings hat die Stadt ­München bis heute keinen Investor für den notwendigen Gasteig-­Umbau gefunden. Daher kommt die Situation fast schon gelegen, da man möglicherweise den Freistaat jetzt doch wieder zu Kooperationsgesprächen bewegen kann. Es ist überflüssig zu erwähnen, dass ein Konzept wie das des neuen Konzerthauses nicht in den Gasteig installiert werden kann, bei dieser Lösung geht es dann wirklich nur um den gesuchten Orchester-Spielort. Ein komplett anderer, viel kleinerer Ansatz, der aber im Zuge des Umbaus übrigens auch mindestens 450 Millionen Euro kosten würde. Was die Isarphilharmonie betrifft: So wunderbar und charmant dieses Konzept jetzt für das Interim ist, auch dort müsste man für eine längerfristige Nutzung deutlich Geld in die Hand nehmen. Es gibt weder ordentliche Künstlergarderoben noch eine ausreichende Toiletten- und Pausensituation. Und wir sprechen übrigens wieder nur über einen Saal. Noch dazu einen, dessen Bühne zu klein für Mahler oder Strauss ist. Aber ob das Herrn Söder interessiert?

Wie stehen Sie zu dem berechtigten Einwand, dass in der Stadt München die Einwohnerzahlen seit Jahren steigen, während die Sitzplatzkapazitäten der Kultureinrichtungen stagnieren?
Dieses Argument habe ich selbst im Landtag eingebracht, nachdem Söder sich vom Konzerthausplan in der ursprünglichen Form offensichtlich verabschiedet hat. Wir vergessen total, dass die Bevölkerung in München und darüber hinaus konstant wächst und es schon deshalb ein größeres Angebot braucht. Was ich auch nicht verstehe: Unser Ministerpräsident schwärmt zwar permanent von Künstlicher Intelligenz und Quantentechnologie, lässt diese sehr nachvollziehbaren Argumente hinsichtlich einer zukunftsfähigen Kulturinstitution aber überhaupt nicht gelten – geschweige denn, dass er sie argumentativ nutzt. Bayern ist laut seiner Verfassung Kulturstaat. Kultur ist weit mehr als systemrelevant. Gerade in einer Zeit, in der sich sicher geglaubte Gewissheiten in Rauch auflösen und kulturelle Identitäten bedroht werden, brauchen wir den völkerverbindenden Dialog und kulturellen Diskurs mehr denn je. Dieser Austausch – weit über München und Bayern hinaus – ist eine Chance des neuen Konzerthauses.

Dieser Artikel ist eine Leseprobe aus unserer Ausgabe Juli/August 2022

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