Erstickte Sexualität, politische Diffamierung, religiös befeuerte Massenhysterie: Krzysztof Pendereckis Opernerstling „Die Teufel von Loudun“ betritt ein nachtschwarzes Minenfeld – mit tödlichem Ausgang. In dieser Welt ist kein Platz für Licht. Ein forderndes Meisterwerk des 20. Jahrhunderts, das die Bayerische Staatsoper da zur Eröffnung ihrer diesjährigen Münchner Opernfestspiele auf die Bühne hievt.

Denn was oberflächlich wie ein kruder Genremix zwischen Horrorsplatter, kirchlichem Intrigenstadl und freudianischem Triebstau wirkt, entpuppt sich als historisch verbürgte Einbahnstraße Richtung Hölle. Anno 1634 wird die französische Stadt Loudun zum Schauplatz eines aufsehenerregenden Hexenprozesses. Priorin Jeanne begehrt den affärentechnisch umtriebigen Priester Grandier. Als er ablehnt, Beichtvater ihres Klosters zu werden, beschuldigt sie ihn, sie und ihre Mitschwestern mit Dämonen verführt zu haben. Ein willkommener Anlass für die Anhänger von Kardinal Richelieu, denen der politische Freigeist Grandier schon lange ein Dorn im Auge ist. Eine Serie von Exorzismen nimmt ihren Lauf, an deren Ende Grandier aller Unschuld zum Trotz den Flammen übergeben wird …

Ein Stoff wie gemacht für den bekennenden „Links-Katholiken“ Penderecki, dessen schroffe Partitur (in der Originalgestalt von 1969) mit kurzen, filmschnittartigen Szenen eine gleißende, rasiermesserscharfe Atmosphäre schafft. Nicht umsonst wurde die Musik des polnischen Komponisten mit ihrem schleichend-unheimlichen Sog immer wieder auch fürs Kino eingesetzt. Ihre Qualitäten beglaubigt der über alle Zweifel erhabene Vladimir Jurowski am Pult des Bayerischen Staatsorchesters. Wenn er mit dem groß besetzten Instrumentarium im Schatten lauert und dann wieder Eruptionen auslöst, Klangballungen auf kammerspielartig-buffonesken Galgenhumor treffen, Gregorianik mit Polyphonie einhergeht und gesungene Passagen sich mit Sprechtexten überlagern, erschließt sich der theatereffektive Wert der Komposition. Untermauert vom Chor des Hauses, der zwischen oszillierendem Summen und wildem Crescendo für eine transzendente Klangerfahrung der beklemmenden Art sorgt (Einstudierung: Stellario Fagone).

Was den musikalischen Gesamteindruck abrundet, ist ein mustergültig besetztes (und exzellent textverständliches) Solisten-Ensemble. Allen voran Aušrine Stundyte, die mit hochexpressiver Gesangs- und Schauspielkunst die unerfüllten Begierden der Jeanne in kühl-schizophrenem Wahnsinn auslotet. Martin Winkler entlarvt den Exorzisten-Pater Barré mit voluminösem Bassbariton als animalische Bestie unter einer Fratze der Scheinheiligkeit. Wegen Wolfgang Kochs Covid-Erkrankung musste für die Partie des Grandier in kürzester Zeit eine alternative Lösung gefunden werden: Jordan Shanahan (viriler, technisch hervorragender Bariton) und Robert Dölle (glaubwürdig in Schauspiel und Sprechpassagen) retten die Premiere, was den Priester zwischen Verführer und Märtyrer letztendlich mit einem interessanten Verfremdungseffekt sogar zusätzlich isoliert.

Und die Regie? Eine unablässig in Drehung befindliche, wuchtige Betonkirche (Bühnenbild: Bob Cousins) stärkt den filmischen Fluss. Simon Stone setzt auf Illustration statt Regietheater, was der starken Vorlage gut zu Gesicht steht. Er verortet die Handlung zwar in der Gegenwart, vertraut aber zurecht auf die überzeitliche Wirkmacht dieser Parabel um Toleranz und Intoleranz und umschifft inszenatorische Fallen, ohne das Publikum vor der rohen Brutalität des Stoffs (samt Elektroschock-Folter und Hinrichtung im Krematorium) zu schonen. Denn am Ende gibt es sie gestern wie heute, die Teufel von Loudun.

Florian Maier

„Die Teufel von Loudun“ (1969) // Oper von Krzysztof Penderecki

Infos und Termine auf der Website des Theaters

Der Premieren-Mitschnitt ist als kostenfreies Video on Demand bis 27. Juli 2022 auf Staatsoper.TV abrufbar.