von Tobias Hell

Es ist eine Symbiose, wie man sie so nur selten erlebt. Denn während in den meisten europäischen Musikzentren Studierende nach ihrem Hochschulabschluss auf Vorspiele oder einen der begehrten Plätze in den Akademien der Spitzenorchester hoffen, bekommen junge Musikerinnen und Musiker in Tel Aviv schon früh einen Einblick ins spätere Berufsleben. Möglich wird dies durch die Arbeit der Buchmann-­Mehta School of ­Music (BMSM), die 2005 durch den Zusammenschluss der Universität von Tel Aviv mit dem Nachwuchsprogramm des Israel Philharmonic ­Orchestra (IPO) entstand. Zwei weltberühmte Institutionen, verknüpft durch zwei nicht minder bekannte Namen, die man auf dem Campus bis heute in Ehren hält. Der Frankfurter Geschäftsmann und Holocaust-Überlebende Josef ­Buchmann und seine Frau Bareket, Mäzene auch zahlreicher anderer wohltätiger Projekte, zählen schon lange zu den Förderern des ­Israel Philharmonic Orchestra und schafften es auch, den langjährigen Chefdirigenten des Ensembles, Zubin Mehta, mit ins Boot holen. Der ließ sich sofort für die Kooperation ­begeistern und trat als neuer Ehrenpräsident der BMSM das Erbe solch prominenter Vorgänger wie Arnold Schönberg und ­Leonard Bernstein an.

Nach diesen Titanen startet inzwischen aber auch eine junge Generation israelischer Musikerinnen und Musiker von Tel Aviv aus zur großen internationalen Karriere. Jüngstes Beispiel ist hier unter anderem der frisch gekürte Chef des Israel Philharmonic ­Orchestra, Lahav Shani, der seine Ausbildung ebenfalls an der Buchmann-Mehta School of Music erhielt und es sich genau wie sein Vorgänger nicht nehmen lässt, seine Erfahrungen nun selbst an die junge Garde weiterzugeben. Gekrönt mit dem alljährlichen Konzert des Schulorchesters im Charles Bronfman Auditorium, dem Stammquartier des IPO.

Dass mit Lahav Shani und seinem Kollegen Dan Ettinger an der benachbarten Israeli Opera erstmals in der jungen Geschichte des Landes zwei der bedeutendsten Musik-­Institutionen Israels von einheimischen Dirigenten geleitet werden, ist eine Tatsache, deren volle Tragweite dem Publikum der pulsierenden Mittelmeer-Metropole zum Teil noch bewusst werden muss. Für die Verantwortlichen der Buchmann-Mehta School of ­Music ist es allerdings jetzt schon eine Bestätigung für die hohe Qualität der Ausbildung. Finden sich doch auch an den Pulten des IPO zahlreiche Alumni der BMSM.

Sportlich-freundschaftlicher Projekt-Alltag (Foto Yoel Levy)

Tradition und Aufbruch

Die Wurzeln der Schule gehen dabei bis in die 1940er Jahre zurück, gegründet als Israel Academy of Music und später zu Ehren von Samuel Rubin umbenannt. Waren es in den Anfangsjahren noch Musikerpersönlichkeiten aus Russland oder Ungarn, die ihre Traditionen im neugegründeten Staat weiter pflegten, atmet der Campus inzwischen ein internationaleres Flair. Viele Mitglieder des IPO, die hier im Rahmen der Kooperation unterrichten, haben ihre eigene Ausbildung noch in Europa oder den USA ergänzt und neue Impulse mit nach Hause gebracht. Und natürlich gibt es bis heute regelmäßige Meisterkurse renommierter Dirigenten und Solisten.

„Nach Israel kommt man nicht nur für zwei Konzerte“, wie Pianist Tomer Lev erzählt, der 2005 zum ersten Leiter der neugegründeten Institution wurde und nach wie vor in der Klavierklasse aktiv ist. „Die Reise hierher ist aus bekannten Gründen oft etwas komplizierter. Und so bleiben viele Künstlerinnen und Künstler auch gerne mal gleich zwei oder drei Wochen. Sie treten mit dem IPO dann nicht nur in Tel Aviv, sondern auch in Jerusalem, Haifa oder Be’er Sheva auf. Und weil da meistens ein paar freie Tage dazwischen sind, fragen wir einfach immer an, ob sie nicht eventuell auch ein bisschen mit unseren Studierenden arbeiten wollen.“ Ein Angebot, das bislang kaum ein prominenter Gast abgelehnt hat.

Und so lässt sich auf dem Gang zu den Probenräumen eine eindrucksvolle Sammlung von Plakaten bestaunen. András Schiff, Yuja Wang, Murray Perahia und Pinchas Zukerman haben hier ebenso Meisterkurse gegeben wie Kammermusik-Guru Menahem Pressler. Aber auch Eva Mei, Marjana Lipovšek und Thomas Hampson. Ein Name, der besonders oft fällt, wenn man sich mit den Studierenden unterhält, ist aktuell neben Lahav ­Shani vor allem der von Alan Gilbert. Der Chefdirigent des NDR Elbphilharmonie Orchesters hat unter anderem auch bei Ori Ron großen Eindruck hinterlassen. „Es war unglaublich beeindruckend, wie er sich auf uns eingelassen hat. Es war nicht einfach nur ein Meisterkurs für die Dirigierklasse. Ich glaube, alle von uns konnten unglaublich viel von ihm mitnehmen.“ Im selben Gespräch erzählt der junge Cellist ebenfalls vom gerade absolvierten Jugendkonzert mit den Kollegen des IPO. „Gerade nach dem Kultur-Lockdown war es toll, wieder vor einem vollen Saal und so einem Publikum zu spielen.“

Freundschaftliche Konkurrenz in familiärer Atmosphäre

Auftritte mit dem Israel Philharmonic Orchestra stehen zwar regelmäßig auf dem Programm, müssen von den Studierenden aber hart erarbeitet werden. Denn vor jedem Einsatz mit den Profis steht ein hartes Probe­spiel, bei dem man sich gegen seine Studienkolleginnen und -kollegen durchsetzen muss. Ganz so, wie es später auch auf dem freien Markt der Fall sein wird. Wobei die von offizieller Seite gern betonte familiäre Atmo­sphäre auf dem Campus von den Studierenden und den Dozenten gleichermaßen bestätigt wird. So erzählt IPO-Oboist Dudu Carmel, dass tatsächlich einer seiner Schüler den schwer erkämpften Platz beim aktuellen Konzertprogramm großzügig der deutschen Stipendiatin Stella Heutling überließ. „Er meinte, sie wäre ja nur ein Jahr hier, während er wahrscheinlich noch öfter Gelegenheit haben wird. Das ist großzügig, aber eben auch selbstbewusst. Sicher gibt es durch das Vorspielen Konkurrenz, aber trotzdem respektiert man sich gegenseitig.“ Auch dies mag ein Grund dafür sein, dass sich auch immer mehr junge Musikerinnen und Musiker aus Europa, Amerika, Asien und sogar Australien für das Förderprogramm bewerben, um hier ein Jahr lang die reichhaltigen Angebote wahrzunehmen.

BMSM-Direktor Uri Rom und Sharon Rostorf-Zamir, die Leiterin der ­Opernklasse (Fotos Yoel Levy)

Selbst wenn die Kooperation mit dem Israel Philhar­monic Orchestra eines der großen Alleinstellungsmerkmale der Schule darstellt, behauptet sich daneben dennoch auch die Gesangsklasse überaus selbstbewusst. Unter Leitung von Sharon Rostorf-Zamir, die in Deutschland vor allem an der Oper Frankfurt oder bei den Händel-Festspielen Halle von sich reden machte, haben sich neben den Kammermusik-Aktivitäten und der Konzertreihe des Schulorchesters auch die Opernproduktionen der BMSM zum gar nicht mehr so geheimen Geheimtipp gewandelt.

So konnte man dank Förderung der International ­Music & Art Foundation hier zuletzt unter anderem Ravels „L’Enfant et les Sortilèges“ erleben, sowie eine auf historisch informierten Pfaden wandelnde Produktion von Händels „Acis and Galatea“, für die der neu ernannte BMSM-Direktor Uri Rom nicht nur selbst ans Dirigentenpult trat, sondern mit Geigerin Kati Debretzeni ebenfalls eine versierte Orginalklang-Spezialistin als Coach mit ins Boot holte. Ein gelungenes Experiment, nach dem vor allem das Barockrepertoire in Zukunft weiter gestärkt werden soll.

Und wer weiß, vielleicht begegnet man einigen der jungen Sängerinnen und Sänger ja bald auch auf einer europäischen Bühne wieder. So Mezzo Shahar Lavi, die nach ersten Schritten in Heidelberg nun zu den Publikumslieblingen des Nationaltheaters Mannheim zählt, oder BMSM-Absolventin Nofar Jacobi, die gerade mit dem ersten Preis bei der Rita Gorr Opera Competition in Gent ausgezeichnet wurde.

Dieser Artikel ist eine Leseprobe aus unserer Ausgabe Juli/August 2022

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