Der Influencer und Bariton Babatunde Akinboboye kämpft auf Social Media gegen die Verstaubtheit der Opernwelt
von Sophie Emilie Beha
Konsumieren Opernsängerinnen und -sänger Cannabis? Wie teuer ist der Beruf? Und wie rassistisch? Diese Fragen klärt Babatunde Akinboboye kurz und knackig. In seinen einminütigen Videos trägt er gern Smoking und hält eine verschnörkelte Jugendstil-Tasse mit Schwarztee in den Händen. Gelegentlich nimmt er davon einen winzigen Schluck, meistens rührt er ihn aber nur vielsagend um. Auf TikTok schauen fast eine Million Fans seine lustigen Videos an. Aber eigentlich wollte Akinboboye gar kein Internet-Star werden: „Ich habe das nur gepostet, um die Leute zu unterhalten. Doch dann hat sich gezeigt, dass das offenbar für viele sehr wertvoll war. Zufällig gingen einige Videos durch die Decke, dabei war das gar nicht meine Absicht.“
Denn eigentlich wollte Bariton Babatunde Akinboboye nur seine Follower bei Stange halten – bis 2019 sein erstes Album „Della Citta“ herauskam. Um die Wartezeit zu überbrücken, hat er Videos auf TikTok und Instagram gepostet. Videos, in denen er den Opernbetrieb auf den Arm nimmt, kritisch und immer mit einer Prise Humor. Etwas, das seine Videos auszeichnet. Die heikle Frage nach dem Cannabis-Konsum kommentiert Akinboboye beispielsweise mit einem bedeutungsvollen Lächeln. Für ihn gilt: „Der beste Humor kommt immer von einer überraschenden Wahrheit.“ Deshalb zählt er beispielsweise all die Kosten auf, die angehende Opernsänger für Gesangsstunden, Bewerbungsverfahren und Noten aufbringen müssen. Oder er erklärt, warum er keine Einladungen von Förderern wahrnimmt: „Jedes Mal, wenn ich dorthin komme, werde ich benutzt. Wenn ich mal nicht gefragt werde, wie ich es geschafft habe, aus Afrika zu kommen, um Opernsänger zu werden, dann werde ich viel zu oft von derselben Person umarmt und berührt.“
Vom Hip-Hop zur Oper – und zurück
Babatunde Akinboboye wurde in den USA geboren und ist in Nigeria aufgewachsen. Genauso zufällig wie er Internet-Star wird, ist auch sein Weg in die Oper: Denn als sein Gesangslehrer ihm vorschlägt, mal Arien zu singen, kennt Babatunde keine. Er hört lieber Hip-Hop. „Irgendwann habe ich mit der Idee gespielt, beide Elemente zu kombinieren. Ich hatte in der Probe Oper gesungen und kurz danach im Auto Hip-Hop gehört. Dabei hatte ich aber noch die Probe im Kopf und habe dann einfach die Arie über den Hip-Hop-Beat gesungen.“ Das Resultat: Das „Largo“ aus Mozarts „Le nozze di Figaro“ passt erstaunlich gut zu einem Beat von Rapper Kendrick Lamar. Banatunde nennt diese Mischung „Hip Hopera“. Das dazugehörige Video filmt er ganz simpel von sich selbst im Auto. Es geht sofort viral und hat mittlerweile über eine Million Klicks auf YouTube. „Das war, als würde man fast versehentlich eine Superkraft von sich entdecken.“

Daran knüpft auch Akinboboyes aktuelle Videoreihe an: eine Zusammenarbeit mit Jonas Kaufmann. Auch der weiß, dass er das Internet braucht, und Babatunde Akinboboye ist das Internetphänomen schlechthin: Im „Jonas Kaufmann Karaoke“-Video nimmt Kaufmann Akinboboye in seinem Auto mit durch Berlin. Gemeinsam schmettern sie die Hits aus seinem Album „The Sound of Movies“ und erzählen sich nebenbei ein paar nette Anekdoten. Dass der kleine Jonas eigentlich lieber Klavierspielen als singen wollte und wie kaputt wohl die Stimmbänder von Louis Armstrong aussehen. Ein anderes Video zeigt die beiden mit ihrer liebsten Aufwärmübung: Man stopfe sich zum Singen ein Handtuch in den Mund. Jonas und Babatunde schwören darauf!
Neben seiner eigenen Musik postet Akinboboye auch jeden Tag kurze Videos, in denen er schwarze Komponisten und Sängerinnen vorstellt: Jessye Norman, Mahalia Jackson, Marian Anderson, John Holiday, Paul Robeson oder Leontyne Price, für die er persönlich schwärmt: „Sie ist wahrscheinlich eine der besten Sopranistinnen jemals! Und bemerkt mal bitte, dass ich nicht ‚Schwarze Sopranistinnen‘ gesagt habe!“ Bemerkenswert, wie flink Akinboboye mal so eben Rassismuskritik in einem Video unterbringt, das kürzer als eine Minute ist. Sowieso schert er sich nicht um die ungeschriebenen Regeln der Opernszene, denn er weiß, dass sie im Internet kein Gewicht haben. Er macht Späße über einen Betrieb, von dem er selbst Teil ist und auch profitiert. Ganz unverblümt macht er sich lustig über cholerische Intendanten, die sich nicht für Diversity einsetzen, oder Mäzene, die verhindern wollen, dass schwarze Menschen an Opernproduktionen teilnehmen.
Am liebsten genauso verrückt wie unsere Welt
Seine Munition: Reichweite. Seine Währung: Aufmerksamkeit. Akinboboye bekommt viel Resonanz, nicht nur von der Gen Z, sondern auch von anderen Kollegen oder Managern: Sie nehmen den Betrieb ähnlich wahr, trauen sich allerdings nicht, Kritik zu äußern, wie es Akinboboye tut. Während der Corona-Pandemie legte der nochmal eine Schippe drauf: „Es ist einfacher, die Schwierigkeiten in der Branche offen anzusprechen, wenn man sich keine Sorgen machen muss, nicht eingestellt oder gefeuert zu werden, weil in der Pandemie niemand eingestellt wurde. Deswegen habe ich angefangen, noch ein wenig lauter über die Dinge zu sprechen, die mir in der Oper aufgefallen sind und die meiner Meinung nach anders laufen könnten.“
Babatunde Akinboboye kritisiert Rassismus, Sexismus und Hierarchien im Opernbetrieb – und das stets mit einem Augenzwinkern. Er zeigt eine Insider-Perspektive und witzelt über all die kleinen Dinge, die merkwürdig sind. So macht er Oper zugänglich und vor allem verständlich für ein neues, junges Publikum: „Der Grund, warum ich in der Lage war, all diese Sachen den Leuten so effektiv zu vermitteln, ist, dass ich erst so spät im Leben selbst zur Oper gekommen bin. Weil ich nicht mit Oper aufgewachsen bin, habe ich eine andere Perspektive auf die Kultur und sehe Oper immer noch oft so wie diejenigen, die keinen Bezug dazu haben.“ Regelmäßig kommentieren Leute seine Videos damit, dass sie wegen ihm angefangen hätten, in die Oper zu gehen und das seitdem nicht mehr missen wollen. Auf seinem Kanal hätten sie gelernt, dass man auch „ohne Anzug“ in die Oper gehen darf, welche Rollen oft mit Mezzosopranistinnen besetzt sind und woraus der gängige Werkskanon besteht. Außerdem demonstriert Babatunde auch, was in der Klassikwelt oft verpönt ist: große, emotionale Reaktionen auf Musik. Etwas, das zwar viele Leute fühlen, aber nur wenige offen zeigen.
Mit seinen Videos will er den Opernbetrieb nicht mehr und nicht weniger als verändern: Oper soll raus aus der verstaubten Ecke mit den immergleichen Hits. Viel schöner wäre es, wenn das Genre genauso vielfältig, bunt und verrückt wäre wie die Welt, in der wir heute leben. „Ich bin nicht besorgt über die Zukunft der Oper. Ich bin viel eher gespannt auf das, was als nächstes kommt. Oper ist eine tolle Kunstform. Sie hat nicht ohne Grund die Barockzeit überlebt. Aber es bricht mir das Herz, dass sie zu einem Fossil geworden ist, das im Regal steht und verstaubt. Dabei ist sie doch wie eine Blume: Sie will wachsen.“
Dieser Artikel ist eine Leseprobe aus unserer Ausgabe Mai/Juni 2024