Schon der erste Lockdown verhinderte die verdiente Breitenwirkung eines besonderen Musikfilms. Nun sind wiederholt die Türen sämtlicher Kulturstätten geschlossen. Dafür holt der DVD-Player mit großem Bildschirm und gutem Klang die Welt der Musik ins Wohnzimmer – und mit dazu ein gärendes Problem, für das seit 20 Jahren ein spezielles Ensemble mögliche musikalische Lösungswege erklingen lässt.

Peter Simonischek gleicht ein bisschen Edward Said, dem schon verstorbenen Mitbegründer des „Orchester des West-Östlichen Divans“. Seit 1999 gastiert das jetzt hauptsächlich mit Daniel Barenboim verbundene Ensemble weltweit als Beispiel dafür, wie gemeinsames Musizieren den arabisch-israelischen Konflikt zeitweise und begrenzt überwinden kann. In Regisseur Dror Zahavis wuchtigem Film kommt die auf internationales Business-Niveau gestylte Bibiana Beglau als Karla de Fries auf Professor Eduard Sporck (Peter Simonischek) zu – die kühl erfolgsorientierte Managerin der weltweit tätigen „Stiftung für effektiven Altruismus“ auf den ehemals renommierten Dirigenten mit immer noch wohlklingendem Namen: Parallel zu einer diplomatischen Konferenz soll ein frisch zusammengestelltes arabisch-israelisches Jugendorchester unter seiner Leitung ein publicityträchtiges Beispiel mit internationaler Wirkung geben. Im lichtdurchfluteten Marmortreppenhaus eines Frankfurter Hochschul-Imitats sagt Sporck nach anfänglichem Zögern zu – im Film gekonnt kontrastiert mit der Szene eines mühsam-gefährlich-diskriminierenden Weges zweier palästinensischer Jugendlicher über die Grenze zum Vorspiel in Tel Aviv. „Sporck – das ist der Porsche!“, jubelt der palästinensische Vater der Geigerin Layla (mit vielfältiger Emotion Sabrina Amali), die es in die Auswahl schafft und feststellen muss, dass der smarte, allzu weltgewandte Israeli Ron (überzeugend Daniel Donskoy) weit besser und auch noch sensibel freier spielt. Dennoch oder gerade deswegen wird sie von Spork als Konzertmeisterin eingesetzt.

Im von der Stiftung gesponserten, idyllischen Südtiroler Burg-Domizil greift der in gruppendynamischen Prozessen erfahrene Sporck die Aversion, ja den schwelenden Hass zwischen Israelis und Palästinensern auf. In aggressiven Konfrontationsübungen und heftigen Diskussionen prallen historisches Unrecht, gewachsene Vorurteile und aktuelle Missstände aufeinander – so sehr andererseits die musikalischen Proben auch ein Miteinander erzwingen. Über Dvořáks Bläserserenade, Pachelbels Kanon D-Dur oder das so emotionale wie traumverlorene Largo aus Dvořáks 9. Symphonie stellt sich langsam das nötige „harmonische“ Zusammenspiel ein – was die Neue Philharmonie Frankfurt unter Dirigent Jens Troester klangtechnisch perfekt realisiert und Simonischek ohne Maestro-Überzeichnung bis hin zu Vivaldis „Winter“ gut „dirigiert“.

Parallel hat sich eine überschwänglich heftige Jugendliebe zwischen dem schüchternen palästinensischen Hochzeits-Klarinettisten Omar (Mehdi Meskar) und der quirlig-sonnigen Hornistin Shira (Eyan Pinkovich) aus einer arrivierten israelischen Familie entwickelt. Als die beiden ihre Liebe samt Musikstudium in Paris leben wollen und fliehen, kommt es zu einer tödlichen Katastrophe. Einige Filmkritiker kritisierten dies – doch die zuvor ob ihres Realismus hochgelobten Szenen der Grenzkontrollen bilden genau den begründenden Hintergrund dazu. Diskutabel ist eher, ob der grauenhafte NS-Medizin-Hintergrund der Eltern, den Dirigent Sporck als sein „Paket“ einbringt, nicht ein großes Problemfeld anreißt, ohne es gebührend zu behandeln. Am Ende lässt der tragische Todesfall das Konzertprojekt scheitern und die windschnittige Kulturmanagerin ist bereits Richtung Afrika orientiert. Ganz zuletzt scheint dann die Suche nach einer gemeinsamen Basis – anders als erwartet – doch noch zu glücken: Mit seinem Geigenbogen beginnt Ron an der Glaswand zwischen den getrennten Abflughallen den pochenden Rhythmus – und widerstrebend, aber eben unwiderstehlich zwingt am Ende der gruppenweise Instrumenteneinsatz und der verführerische Sog von Ravels „Bolero“ noch einmal alle Musiker beider Seiten zusammen … zu einem musikalischen Crescendo, hinter dem nur unsere politische Realität wie so oft weit zurückbleibt. Noch dazu tröstet dieser realitätsnahe Musikfilm über viele entgangene Aufführungen hinweg.

Wolf-Dieter Peter

INFOS ZUM FILM

„Crescendo #makemusicnotwar“
Simonischek, Beglau, Donskoy, Amali, Meskar u.a.
Dror Zahavi (Regie)
1 DVD/Blu-Ray, Camino/Good!Movies