Als „Lieblingspartie“ würde Liudmyla Monastyrska die Rolle der ­Turandot nun nicht gerade bezeichnen – eigentlich ist sie gar nicht Bestandteil ihres ­Repertoires. Dennoch sagte sie nicht nein, als Met-General Manager Peter Gelb vor Kurzem höchstpersönlich bei ihr anrief, ob sie nicht „übernehmen“ wolle. Für die unglücklich agierende Anna Netrebko, deren politische Fuchs-und-Hase-­Strategie ein Vertragsverhältnis am bekanntesten Opernhaus der Welt momentan unmöglich macht

von Iris Steiner

Mediale Aufmerksamkeit war nie der Grund für sie, ­diesen Beruf zu ergreifen. Auch bei unserem Zoom-­Interview macht Liudmyla Monastyrska einen zurückhaltenden Eindruck, lässt sich trotz guter Englischkenntnisse von einem Freund übersetzen. Dass ausgerechnet eine ukra­inische Sängerin im Mai an der Met die ausgeladene Anna Netrebko als Turandot ersetzt, erhöht selbst für die erfolgsgewohnte Sopranistin mit internationaler Karriere den öffentlichen Druck ganz gewaltig. Zumal sie die Partie zuletzt vor sieben Jahren öffentlich gesungen hat und zugibt, dass Puccinis Prinzessin nicht gerade ihre Lieblingsrolle ist. „Diese Frau verstehe ich einfach nicht“, meint sie, „verbittert und aggressiv – Gott sei dank zeigt sie am Ende, wenn Calaf sie küsst, endlich doch noch Gefühle.“ Man gewinnt den Eindruck, dass diese Rolle der scheu und sanft wirkenden Künstlerin genauso wenig entspricht, wie die Situation, in der sie sich momentan unfreiwillig wiederfindet. ­Monastyrska spricht mit uns aus einem Warschauer Wohnzimmer, einem selbstgewählten Exil, während Eltern und Bruder in Kiew blieben und die beiden Kinder in Polen und Rumänien in Sicherheit sind. „Meine ganze Seele ist zuhause und sehr traurig“, meint sie, „aber körperlich bin ich okay.“

Monastyrska ist auf der ganzen Welt unterwegs, als ihr Zuhause bezeichnet sie trotzdem nach wie vor die Heimatstadt Kiew. Der Lebensmittelpunkt ist noch immer dort – zumindest war er das bis vor einigen Wochen und bevor Putin begann, das Land zu bombardieren. Täglich steht sie via Telegram und online in Kontakt mit den Kolleginnen und Kollegen der Ukrainischen Nationaloper, ebenfalls täglich gibt es neue Schreckensmeldungen von dort – und manchmal verzweifelte Hoffnung. „Stellen Sie sich vor, die Oper in Kiew möchte im April wieder spielen, nach über einem Monat der Schließung. Das ist in Wirklichkeit wahrscheinlich unmöglich, aber keiner dort will aufgeben. Und wie ich hörte, gehen unsere Musiker in U-Bahn-Schächte und machen Musik, um die Leute dort ein wenig aufzumuntern.“ Sie kennt die Szenerie der Stadt, war selbst jahrelang Ensemblemitglied und feierte dort 1996 ihr Bühnendebüt als Tatjana in Tschaikowskis „Eugen Onegin“, ehe sie mit einer Opernkarriere durchstartete. „Im Moment kann ich nichts weiter tun, als meinem Land durch Mitwirkung an Benefiz-Konzerten zu helfen und mein Gefühl der Zugehörigkeit zur Ukraine sowie meinen Protest lautstark auszudrücken.“

Anna und Liudmyla?

Dass ihr Einspringen in New York für ausgerechnet die russische Kollegin Anna Netrebko große Aufmerksamkeit erregt, weiß sie – und ist dankbar für die Chance, diese Turandot auch für die Ukraine zu singen. „Es ist eine große Ehre für mich, mein Land auf diese Weise vertreten und präsentieren zu dürfen.“ Den Begriff „glücklich“ möchte sie allerdings nicht verwenden, zu traurig und wütend fühlt sie sich. „Künstler, die das System Putin offen unterstützen, sollen in meinen Augen keine Bühne bekommen. Meiner Meinung nach hat Anna ihre Position viel zu spät erklärt. Einen ganzen Monat ohne Statement von der Nummer eins der Opernwelt? Das ist für mich untragbar.“

Gibt es eigentlich Parallelen zwischen Anna ­Netrebko und Liudmyla Monastyrska – vielleicht stimmlich? Die vorsichtige Frage stößt wie erwartet nicht auf große Begeisterung. „Nein, wir sind uns nicht ähnlich, auch nicht in Bezug auf unsere Stimmen.“ Prompt und harsch kommt die Antwort. „Anna ist eine hervorragende Sängerin mit einer großen Karriere und hat viele Manager und Berater, die mit ihr arbeiten. Das ist so nicht meine Welt.“ Kurz vor Beginn des Krieges waren beide alternierend für die Aida in Neapel engagiert. Ist man sich dort nicht auch persönlich begegnet? „Natürlich kenne ich Anna. Ihre Entscheidungen sind ihre Sache, sie ist erwachsen. Im Moment möchte ich sie allerdings lieber nicht treffen.“

Warum sich Peter Gelb, General Manager des größten Opernhauses der Welt, mit einem persönlichen Anruf ausgerechnet für Liudmyla Monastyrska entschieden hat, weiß sie nicht. Dass ihre Herkunft dabei eine (politische) Rolle gespielt hat, ist zu vermuten, trotzdem bleibt sie getreu ihrem Naturell bescheiden-realistisch. „­Sicher hätte es auch einige sehr gute Alternativen mit ukrainischem Hintergrund gegeben. Ich kann nur sagen, dass ich sehr stolz bin, dass die Wahl auf mich gefallen ist.“ Wir wollten das allerdings genauer wissen, fragten nach und erhielten prompt folgendes Statement von Peter Gelb: „Dass ich Liudmyla gefragt habe, liegt nicht daran, dass sie Ukrainerin ist, sondern weil ich weiß, dass ihre ausdrucksstarke dramatische Stimme perfekt zu dieser Partie passt – auch wenn sie die momentan nicht in ihrem aktuellen Repertoire führt. Um auf der riesigen Bühne der Metropolitan Opera großes italienisches Repertoire zu singen, braucht man als Sängerin eine tragfähige und sehr kraftvolle Stimme. Liudmyla hat bereits einige Male zuvor als Aida und Abigaille diese ‚Met-Tauglichkeit‘ bewiesen und beide Rollen mit großem Erfolg an unserem Haus gesungen. Die Tatsache, dass sie aus der Ukraine stammt, ist das ‚Sahnehäubchen‘. Nicht mehr und nicht weniger.“

Liudmyla Monastyrska als Abigaille mit Plácido Domingo in der Titelrolle von Verdis „Nabucco“, Metropolitan Opera 2016 (Foto Metropolitan Opera/Martin Sohl)

Aus der Ukraine auf die großen Bühnen der Welt

Ihr Europa-Debüt gab Monastyrska 2010 als Tosca an der Deutschen Oper Berlin, eine ihrer Lieblingspartien, mit der sie bis heute regelmäßig zu hören ist. In den Jahren darauf folgten Engagements als Aida und Tosca an der Opéra national de Paris und der ­Metropolitan Opera sowie ebendort zusammen mit Plácido ­Domingo 2016 als ­Abigaille in ­„Nabucco“. Diese Vorstellung wurde weltweit live ins Kino übertragen und in Deutschland und Öster­reich in einer einzigen Vorstellung von 50.000 (!) Besuchern gesehen. An der ­Bayerischen Staatsoper und der Wiener Staatsoper unter ­Simone Young war sie im selben Jahr als Aida zu hören, knapp ein Jahr nach ihrem Debüt 2015 bei den Salzburger Festspielen in der Neuproduktion von „Cavalleria rusticana“ mit Jonas Kaufmann. Es folgten Engagements als Lady Macbeth und Abigaille am Royal Opera House London und der Mailänder Scala. Und für diesen Sommer steht eine Aida auf dem Plan – diesmal in der Arena di Verona, „möglichst weit weg vom Krieg“, wie sie sagt. „Auch wenn der mich überallhin ­begleitet.“

Ihre traumatische Erfahrung kann sicher auch ­Zeffirellis prächtige Met-Inszenierung – bereits seit 1987 ein Publikumsfavorit – nicht heilen. Am 7. Mai 2022 wird „Turandot“ live in über 200 Kinos in Deutschland und Österreich übertragen. Ein wichtiges „Statement-Engagement“ nennt es ­Monastyrska, würde generell aber eigene Verträge immer vorziehen, bei denen sie, wie sie es ausdrückt, „von Anfang an gewollt ist“. In diesem Fall weiß sie um die Wirkung – und versucht es mit Pragmatismus. Das einzige Mal während unseres Gesprächs, bei dem sie beinahe etwas fröhlich wirkt. „Ich habe mein Arbeitsvisum und hey, wir reden von der Metropolitan Opera. Es ist immer ein Highlight, dort singen zu dürfen. Also: Los geht’s!“

Was würde sie einem Wladimir Putin gerne sagen, wenn es die Gelegenheit dazu gäbe? Sie schweigt einige Zeit, ringt sichtbar nach Worten und Fassung – die Antwort danach klingt gut überlegt: „Ich habe keine Worte für Putin und bin seit Wochen geschockt. Für mich ist er ein kranker Mann und für uns normale, friedliebende Ukrainer ist die Situation unfassbar. Wir sind doch im 21. Jahrhundert – kann man wirklich ernsthaft einfach hingehen und Menschen abschlachten?“

Liebe Frau Monastyrska, selbst der eisige Charakter Turandots wird durch die Liebe verändert. Wir wünschen Ihnen und Ihrem Land, dass so etwas nicht nur auf der Opernbühne funktioniert.

Dieser Artikel ist eine Leseprobe aus unserer Ausgabe Mai/Juni 2022

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