Clemens August Kardinal Graf von Galen, Bischof von Münster (1878-1946) trug nicht allein einen prominenten Namen und imposante Titel. Überdies von hünenhafter Gestalt, bot der Geistliche aus westfälischem Uradel den Mut auf, in seinen Predigten die braune Bande des von ihr schönfärberisch „Euthanasie“ genannten Mordes an geistig behinderten Menschen anzuklagen. Thorsten Schmid-Kapfenburg und sein Librettist Stefan Moster schildern in ihrem Stationenstück, welchen inneren Weg der stockkonservative und eine autoritäre Staatsform nationalistischen Zuschnitts durchaus begrüßende Geistliche zurücklegt, bis er sich dazu entschließt, seine Stimme zu erheben. Die Nationalsozialisten brechen die Ermordung Geistig-Behinderter daraufhin tatsächlich ab. Sein Aufbegehren trägt Galen die Todfeindschaft der braunen Machthaber ein. Doch verschieben sie ihre Rache auf die Zeit nach dem „Endsieg“, zu groß ist die Furcht vor dem Aufruhr der kreuzkatholischen Westfalen.

Freilich befassen sich Schmid-Kapfenburg und Moster in den 20 Szenen des Werks nicht minder mit den düsteren Seiten des Münsteraner Bischofs. So verweigert sich Galen nach der Pogromnacht 1938 dem Wunsch der städtischen jüdischen Gemeinde, er möge öffentlich für ihre Opfer eintreten. Wenn die britischen Besatzer ihm als Repräsentanten des „anderen Deutschlands“ ihre Aufwartung machen, fertigt er sie barsch ab. Die Oper zielt darauf, den „Löwen von Münster“ von heute aus zu befragen. Im Stück geschieht das durch eine junge Frau. In imaginären Zwiegesprächen nimmt sie den Kardinal heftig ins Gebet.

Schmid-Kapfenburgs Partitur zeichnet sich durch reiche Differenzierung im Orchester aus. Während der ersten zehn Bilder stellen sich Reminiszenzen an Opern Schrekers, Hindemiths und Strawinskys ein. Der „Löwe“ in Galen verschafft sich in einem kraftvollen Arioso Geltung. Weshalb der Komponist die Nazis ausgerechnet mit der Zwölftonmusik des österreichischen Juden Schönberg versieht, bleibt unerfindlich.

Szenische und musikalische Realisierung wissen zu packen. Regisseur Holger Potocki kratzt nicht an der Monumentalität des „Löwen von Münster“, aber er zeigt, was für einen langen und schwarzen Schatten der Kardinal wirft. Andreas Becker verantwortet Bühne und Kostüme. Sein faszinierender Raum strahlt eine allgemein gehaltene Aura von Sakralität aus, in die sich konkrete Spielorte wie eine Kapelle und ein Privatzimmer in Galens Bischofshaus hineinschieben. Die Kostüme verdanken sich historischer Detailrecherche.

Golo Berg am Pult des Sinfonieorchesters Münster ist der berufene Anwalt der Partitur. Dynamische Abstufungen und Transparenz sind phänomenal. Gregor Dalal verkörpert Galen und beweist in nobler Mischung aus Gemessenheit und Leidenschaftlichkeit baritonales Riesenformat. Kathrin Filip fühlt als Jasmin dem Kardinal engagiert auf den Zahn. Die großartige Suzanne McLeod bestärkt als Mutter des Münsteraner Bischofs ebenso liebevoll wie autoritativ den Sohn darin, dass ein Galen konsequent seinen vom Glauben gebotenen Weg zu gehen habe.

Michael Kaminski

„Galen“ (2022) // Oper von Thorsten Schmid-Kapfenburg

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