Die Notfallnummer steht im Programmheft – zu wählen bei unerträglichen Schmerzen des Besuchers oder eines Angehörigen. Komponistin Louise Alenius interessiert sich für solche Randzustände des Schmerzes und des Sterbens, ihr Stück „Prequiem“ von 2016 wird für jeweils nur einen todkranken Zuschauer gespielt. Insofern ist „Manualen“ („Das Handbuch“), als Uraufführung mit Weill/Brechts „Die sieben Todsünden“ verkoppelt, eine konsequente Fortsetzung ihrer Arbeit: In 70 Minuten wird der finale Schmerz in einem menschlichen Körper bis zum mit Hilfe der titelgebenden „Gebrauchsanleitung“ bewusst herbeigeführten Herzstillstand verhandelt.

Der Partitur hört man Alenius’ Werdegang an, sie hat Ballette und Werbefilme klanglich versorgt: Der fast durchweg präsentierte Breitwand-Hollywood-Sound klingt wie auch das metronomische Dauerpochen im Sekundentakt erstmal beeindruckend, rhythmisch und süffig, erschöpft aber auch schnell. Denn das, was (zumal mit dem Sujet) die Sache interessant machen würde, Ausweitung der Klangsprache, Spreizung der Energien, was also Spannung und einen Bogen schaffen könnte, bleibt aus. e-moll, a-moll, cis-moll in ewig gefälliger Wiederkehr: So bleibt die Musik eine dekorative Folie um ein viel gewichtigeres Thema. Das Bühnenpersonal hingegen erinnert (unfreiwillig?) stark an Woody Allens Komödie „Was sie schon immer über Sex wissen wollten“. Herz, Lunge, zwei Nieren, getanzte Blutkörperchen, dazu eben das „Manualen“: Sie alle rackern sich hier halt nicht zum Orgasmus durch, sondern zum Tod.

Das Bühnenbild (Marie í Dali) ist ein beeindruckendes Geflecht aus Leitern und DNA-Spiralen mit einem Lichtschlangen-umgürteten Käfig für das Herz. Doch Regisseurin Sasha Milavic Davies nutzt diese Vorlage nicht, um eine schlüssige Erzählung herzustellen, derer dieses Stück dringend bedarf. An den Sängern liegt es nicht: Elisabeth Jansson gestaltet das „Bewusstsein“ mit Verve und beeindruckend weiter Tessitura, Petri Lindroos gibt ein tieftönendes, perfekt verständliches „Herz“, Morten Grove Frandsen mit schönem Falsett ein insistierendes „Handbuch“. Der Chor findet im Lauf des Stückes zu mehr Homogenität und die „Hand“ sind fünf mutige Mädchen aus dem Kinderchor.

Was nun hat „Manualen“ mit den „Sieben Todsünden“ zu tun, der letzten Brecht/Weill’schen Zusammenarbeit von 1933? Gar nichts, weder im Material noch in der Umsetzung. Nach der dreiviertelstündigen Umbaupause sind Bühnenbild und Solisten neu, Nanna Øland Fabricis („aka Oh Land“, wie wir lesen) führt als formidable Anna 1 durch den Halbstünder. Sie hat den „triple threat“ der Musicalstars aus Singen, Spielen, Tanzen absolut drauf und wird virtuos unterstützt vom Tänzer Lukas Hartvig-Møller als Anna 2. Das männliche Familienquartett singt, dass es eine wahre Lust ist. Dass der Regie weder zum Stück noch zu den Figuren etwas einfällt, fängt die flotte Choreografie (Paul Pui Wo Lee) ziemlich gut ab.

Ausnahmslos brillant ist die Königliche Kapelle unter Robert Houssart: Sie wirft sich engagiert in beide Partituren, gestaltet souverän den Wechsel von Alenius’ Hans-Zimmer-Sound zum gewollt dreckigen Weill-Klang und ist nicht nur das einzige Kontinuum, sondern das Beeindruckendste an dieser Doppelproduktion, deren „Warum“ ein Rätsel bleibt, dekorativ und letztlich belanglos.

Stephan Knies

„Manualen / Die sieben Todsünden“ (2022 / 1933) // Oper von Louise Alenius und Ballet Chanté von Kurt Weill

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