Wien / Neue Oper Wien (Oktober 2024) Pascal Dusapins „Passion“ nimmt der Liebe ihre Leichtigkeit
Entspannt sitzt Pascal Dusapin vor der Vorstellung im Café des MuTh und gibt seelenruhig Autogramme. Er signiert nicht einfach, er zeichnet Notenlinien. Begeistert bedanken sich die Autogrammjäger. Dusapin, der schon durch seine auffällige Löwenmähne ins Auge fällt, wurde 1955 in Nancy geboren und gilt als wichtiger Vertreter avantgardistischer und emotional tiefgehender Musik. In Österreich ist er ein eher unbekannter Name. Daher ist es wieder einmal dem unermüdlichen Leiter der Neuen Oper Wien, Walter Kobéra, hoch anzurechnen, dass man das Werk dieses französischen Komponisten kennenlernen darf.
„Passion“ wird in Österreich zum ersten Mal gezeigt; die Uraufführung fand 2008 in Aix-en-Provence statt. Die Choreografin und Tänzerin Trisha Brown inszenierte die Oper als Tanzstück, zwei Jahre später stellte Sasha Waltz das Werk in ihrer Interpretation bei der Biennale di Venezia vor. Auch dort stand die Körperlichkeit im Vordergrund. In Wien ist die Oper kein Tanzstück, dennoch wird den Sängerinnen und Sängern in der Inszenierung von Ursula Horner eine Menge an Körperarbeit abverlangt. Von der Handlung allein ist nicht viel zu holen in Dusapins Werk, für das er mit Rita de Letteriis das Libretto verfasste. Lei und Lui sind verliebt und tasten sich vorsichtig an eine Beziehung heran. Doch bald verdunkelt sich das Liebesglück. Lui wird zunehmend besitzergreifender, während Lei versucht, sich aus den Fesseln der Emotionen zu befreien. Doch sie hat keine Chance: Der Brautschleier wird für sie zum Leichentuch. Gli Altri, die Anderen, können das Drama nur beobachten und begleiten.
Mit ästhetischen Bewegungen und starken Gruppenbildern wird die Tragik dieser allzu leidenschaftlichen Liebe präsentiert. Eine wichtige Rolle spielen die Kostüme (Melanie Jane Frost). Gli Altri tragen einfache schwarze Hosen und Oberteile, während Lei und Lui in ihren weißen Barockgewändern hervorstechen. Nach und nach schälen sie sich aus den einzelnen Kleidungsstücken, bis Lei am Ende in einem einfachen weißen Hemd ungeschützt auf der Bühne steht, während Lui mit ihrem Korsett kämpft. Dusapins Musik ist fein und intim, experimentell, aber stets eingängig. Besonders prägend setzen sich Flöte und Harfe aus dem Orchester durch, das Klangbild ergänzen Live-Elektronik, Cembalo, Oud und das Röcheln, Flüstern, Ächzen und laute Atmen der Protagonisten auf der Bühne.
Die türkische Sopranistin Melis Demiray meistert bravourös die anspruchsvolle Partie und bewegt sich dabei tänzerisch elegant auf der Bühne. Bariton Wolfgang Resch steht ihr in nichts nach, auch wenn seine musikalische Rolle etwas geringer ausfällt. Die sechs weiteren Sänger – hinreißend das PPCM Vokalensemble – sind perfekt eingesetzt und bilden einen würdigen Rahmen für das verzweifelte Paar. Das amadeus ensemble-wien beweist unter der Leitung von Walter Kobéra einmal mehr, wie subtil das Orchester mit zeitgenössischen Tönen umgehen kann. Das Publikum bedankt sich für den interessanten Abend mit heftigem Applaus.
Susanne Dressler
„Passion“ (2008) // Oper von Pascal Dusapin