Wien / Wiener Staatsoper (März 2025) Bellinis „Norma“ ohne Spannung und große Emotionen
Seit 28 Jahren war in Wien keine szenische „Norma“ mehr zu sehen, und nun erlebt man zwei Neuproduktionen innerhalb einer Woche. Die Abstimmungsprobleme der Wiener Opernhäuser haben den Vorteil, dass bei plötzlicher Erkrankung von Juan Diego Flórez ein anderer, eingesungener Pollione in der Stadt weilt. Während Flórez in der Generalprobe den liebenden, zärtlichen Verführer von unschuldigen Priesterinnen ausgezeichnet mimt und mit stimmlicher Schönheit aufwartet, gibt sich Einspringer Freddie De Tommaso eher als arroganter, grober Machtmensch mit Hitlerbärtchen, der wie ein Schlächter ein Unschuldslamm zur Schlachtbank (ent)führen will. Diese Pollione-Charakterisierung wird von der Produktion des MusikTheaters an der Wien übernommen und passt dort besser zum Gesamtkonzept. Zwar verfügt De Tommaso über die nötige Stimmkraft und Dynamik, jedoch nicht über schön-geschwungene Legato-Linien, Geschmeidigkeit und strahlende Höhe. Ideale Sänger für diese Rolle sind beide Tenöre nicht.
Federica Lombardi ist als große Mozart-Interpretin mit lyrischem Sopran bekannt und zeigt bei ihrem Rollendebüt eine würdevolle Oberpriesterin, leidende Frau und liebende Mutter. Ihre Rachegelüste wirken weniger glaubwürdig als ihr Wunsch nach Liebe und Frieden, dramatische Steigerungen fehlen leider. Mit technischer Bravour, schönem Legato und weitgespannten Kantilenen meistert sie die anspruchsvolle Partie, sollte aber noch viel mehr berühren – wie beim innigen Gebet an die Mondgöttin oder bei ihrer Schlussarie. Auch der eine oder andere Spitzenton gelingt nicht glasklar. Die herrliche Höhe sticht bei Vasilisa Berzhanskaya als gehemmte Adalgisa heraus – ebenso ihre gehaltvollen tiefen Lagen, große stimmliche Agilität und eine umfassende Stimmgewalt. Man fragt sich, ob hier nicht eine zukünftige Norma zu erleben ist. Mit kräftigem, noblem Wohlklang-Bass verleiht Ildebrando D’Arcangelo dem greisen Vater Oroveso passendes Profil.
Michele Mariotti führt die Wiener Philharmoniker mit spielerischer Brillanz und kantabler Intensität in die geheimnisvolle Druiden-Welt. Besonders die charakteristische Einleitung am Anfang des zweiten Aktes erzeugt herrliche farbenreiche Klangschönheit und vermittelt eine beklemmende Stimmung, als Norma ihre Kinder töten will. Mit sensationeller Leistung beeindruckt auch der Chor, der den Schlusston von „Casta diva“ langgezogen hinwegschweben lässt.
Die Inszenierung von Cyril Teste zeigt die Druiden gekleidet wie Soldaten der Résistance, die sich als Gefangene ihrer Stadt verteidigen müssen; angesiedelt in einer Fabrikhalle, die auch als Lazarett dient. Umbauten gelingen ohne störende Pausen, wenn wenige Mauerteile einen Tempel stimmig darstellen oder das Esszimmer von Norma gezeigt wird. Allgegenwärtig ist der Wald als Projektion, wo mit Farben verschiedene Stimmungen erzeugt werden. Die Figuren sind offensichtlich Waldmenschen mit einem Fetisch für farbenreiche Tücher, die in religiös-rituelle Choreografien – etwas linkisch – eingebaut werden. Leider fehlt jegliche Personenführung, meist wird statisch gestanden und die Beziehungen zwischen den Protagonisten kommen darstellerisch nicht zum Ausdruck. Da hilft auch kein Live-Video mit berührenden Projektionen der Gesichter auf dem durchsichtigen Vorhang.
Susanne Lukas
„Norma“ (1831) // Tragedia lirica von Vincenzo Bellini