Vom Urknall zur Zukunftsvision – Intendant Carl Philip von Maldeghem wendet sich in einem spartenübergreifenden Werk von Schauspiel, Oper und Ballett den immer noch offenen großen Fragen der Menschheit zu: Wo kommen wir her, wo gehen wir hin und was bleibt, wenn wir fertig sind, mit der Welt?

Krisen sind wir ja inzwischen gewohnt. Die gab es immer. Und seit Eva in den Apfel biss, sind wir uns derer voll bewusst und sollen Verantwortung übernehmen. Aber tun wir das wirklich? Die ineinander überfließenden Werke sind mit voller Wucht Beweis dafür, dass auch theatrale Kunst einen eminent wichtigen Platz des Menschseins, des Hinterfragens und Stellungbeziehens, des Laborierens und Kommunizierens einnehmen kann.

Der dreistündige Theaterabend in der Felsenreitschule beginnt mit dem Schauspiel „Galapagos“, welches auf dem Briefwechsel zwischen Naturbursche Charles Darwin und seiner Geliebten Emma basiert. Das Ensemble (Nils Arztmann, Leyla Bischoff, Georg Clementi und Sarah Zaharanski) nimmt das Publikum mit auf Weltumsegelung mit der HMS Beagle. Diese versinnbildlicht Ausstatterin Stefanie Seitz mit einem ovalen Wackelbrett. Genial. Um nicht über Bord zu gehen, physisch wie psychisch nicht das Gleichgewicht zu verlieren, müssen die Protagonisten aufeinander achten – wie im richtigen Leben. Seekrank und mit manischem Forscherdrang stürzt sich der immer Staunende auf die Erforschung der unberührten Biodiversität, schippert nach Feuerland und in den Pazifik zu den Galapagosinseln. Tapferkeit beweist Darwin (Nils Arztmann), als sein das bisherige Weltbild verändernde Buch „Über die Entstehung der Arten“ (1859) ihm den Schmäh der Geistlichen einbringt.

Der Widersätze zum Trotz verknüpft der Theaterabend Wissenschaft mit Religiösem: Joseph Haydns Oratorium „Die Schöpfung“ (1799) beruht auf biblischer Grundlage des Buches „Genesis“, der Erschaffung der Welt und ihrer Herrlichkeit in sieben Tagen – und genauso atemberaubend klingt es auch. Da kreieren, könnte man sagen, Dirigent Gabriel Vengazo und Chordirektor Carl Philipp Fromherz zusammen mit Mozarteumorchester, Chor und Solisten (Laura Incko, Mario Lerchenberger, Philipp Schöllhorn) eine weitere Schöpfung, die dem Monumentalwerk der Musikgeschichte mit gebührender Detailversessenheit begegnet.

Und dazu, auf dass das Ursüppchen ordentlich brodelt und kocht, fühlt sich Choreograf Reginaldo Oliveira zu einem Pendant im Sinne der tanzschöpferischen Hochkultur inspiriert. Die gelingt ihm, weiß der Theatergott, mit der Wucht des Lichts, der Kraft der Elemente Wind und Wasser, mit Blitz und Donner und allem Lebendigem, was am Anfang der Zeit so kreuchte und fleuchte. Das Ergebnis haut den Zuschauer um: ein einzigartiges Bewegungsvokabular, welches in tänzerischer Vollendung des Ballettensembles die Entstehung, Reifung und Entwicklung unterschiedlichster Lebensformen nachempfindet. Da zittern Flimmerhärchen von Pantoffeltierchen, es teilen sich Zellen, es rekeln sich zarte Pflänzchen der Sonne entgegen, es wird sich gepaart, aus zwei werden viele und aus vielem wird irgendwann Mensch – so oder so. Bei aller Herrlichkeit des Entstehens und Vergehens spricht aus Oliveiras Choreografie auch der unerbittliche Kampf ums Überleben, die Grausamkeit der Natur, die im direkten Kontrast zu ihrer überwältigenden Schönheit steht.

Am Ende schließt sich der Kreis und das Bühnenwerk kommt auf den Boden der traurigen Tatsachen im Heute zurück: Darwin ist mit Artensterben konfrontiert, Kain erdolcht Abel (eine Szene von zwei Kindern dargestellt) und – mit Blick auf die Geschehnisse im Iran – Eva wird von männlichen Unterdrückern das Kopftuch aufgezwungen. Die aber wehrt sich. Mit Erfolg. Alles wird gut. Hoffentlich nicht nur im Theater.

Kirsten Benekam

„Die Entstehung des Lichts: Vom Urknall zur Zukunftsvision“ (2022) // Mehrspartenabend bestehend aus „Galapagos“ (Schauspiel basierend auf Briefen von Charles Darwin und Emma Wedgwood), „Die Schöpfung“ (Oratorium von Joseph Haydn, 1799) und „Homo Deus“ (Schauspiel)

Infos und Termine auf der Website des Salzburger Landestheaters