Der Musical-Studiengang der Theaterakademie August Everding feiert sein 25-jähriges Jubiläum
von Tobias Hell
Ein Ort der Begegnung und des künstlerischen Austauschs: Das war es, was August Everding bei der Gründung der mittlerweile nach ihm benannten Theaterakademie vorschwebte. Keine Ausbildung in der eigenen Blase, sondern ein praxisnahes Arbeiten von insgesamt acht Studiengängen, vereint unter dem Dach des Münchner Prinzregententheaters. Fester Bestandteil ist seit mittlerweile 25 Jahren auch das Genre Musical, das trotz der Prägung durch Schauspiel-Legende Fritz Kortner oder Everdings Regiearbeiten an der New Yorker Met und bei den Bayreuther Festspielen stets zu dessen heimlichen Leidenschaften zählte.
Ein Erbe, das die frisch von Berlin nach München gewechselte, neue Präsidentin der Theaterakademie Prof. Dr. Barbara Gronau weiter pflegen will: „Ich bin ein großer Fan des Musicals, weil es eine Theaterform ist, die zu großen Emotionen verführen kann.“ Auf gängige Klischees lässt sich das Genre Musical längst nicht mehr reduzieren. Denn auch das Schauspiel hat die Musik als Gestaltungsmittel entdeckt, was die Grenzen zwischen den Gattungen immer durchlässiger werden lässt. „Unsere Studierenden sind eine neue Generation mit eigener Prägung und eigenen Ideen, die wir dazu ermutigen wollen, das Theater der Zukunft aktiv mitzugestalten.“ Das setzt natürlich eine solide Basis voraus, ebenso wie den Dialog mit denen, die bereits im Beruf stehen. „Was mir hier in München besonders auffällt ist, dass die Theaterakademie eine unglaublich starke Alumni-Arbeit quer durch alle Studiengänge leistet. Dadurch ist ein Netzwerk entstanden, das nicht zu unterschätzen ist. Vor allem im Musical, das meist kein fester Bestandteil der Staats- und Stadttheater ist.“
Trotzdem oder gerade deswegen fällt auch die Bilanz von Musical-Studiengangsleiterin Marianne Larsen durchaus positiv aus. Die aus Dänemark stammende Sängerin, die in ihrer Karriere stets souverän zwischen Oper, Operette und Musical pendelte und den Theaterbetrieb von beiden Seiten kennt, war seit Gründung des Studiengangs als Dozentin aktiv und übernahm schließlich 2012 in Nachfolge von Georg Malvius und Vicki Hall die Leitung. „Ich besuche beruflich viele Premieren in ganz Deutschland und treffe dort fast immer bekannte Gesichter. Ich bin sehr froh zu sehen, dass viele unserer Leute noch immer gut im Geschäft sind. Oder teilweise auch ‚schon‘ im Geschäft – gerade die beiden letzten Jahrgänge, die durch Corona schwer geschädigt wurden. Aber selbst da sind viele inzwischen bis weit ins nächste Jahr hinein ausgebucht. Das beruhigt sehr.“
Von neuem Mut und Privilegien
Grund dafür mag sein, dass auch an so manchen Staats- und Stadttheatern inzwischen ein Umdenken stattgefunden hat. Denn wo früher eher Klassiker wie „My Fair Lady“ oder „Cabaret“ auf dem Spielplan standen, die sich zur Not auch achtbar mit Opernsängerinnen und Schauspielern besetzen lassen, sind viele Theater mittlerweile bei der Stückauswahl etwas mutiger geworden.
Was aber noch wichtiger ist: Die Theater holen dafür endlich auch Musical-Profis. Und dies nicht nur als Gäste, sondern zuweilen sogar als Allzweckwaffen im Ensemble. Von ihren ehemaligen Schützlingen nennt Marianne Larsen unter anderem Patrizia Unger, die am Salzburger Landestheater neben Musical-Rollen auch im Schauspiel überzeugte, oder die frisch ans Theater Regensburg verpflichtete Fabiana Locke.
Das gleiche gilt für Armin Kahl, der 2004 seinen Abschluss machte und nach zahlreichen Long-Runs in Wien, Hamburg oder Stuttgart aktuell zum Ensemble des Staatstheaters am Gärtnerplatz zählt und damit in seine alte Münchner Wahlheimat zurückkehrte. Wenn Kahl sich an seine Studienzeit erinnert, kommt auch bei ihm schnell die Rede auf die von Marianne Larsen als Wendepunkt bezeichnete „On the Town“-Inszenierung von Regisseur Gil Mehmert. „Das war schon eine Hausnummer. Es war eine der ersten großen Produktionen, bei der mein Jahrgang damals mit auf die große Bühne durfte. Und das fand ich immer mega an der Theaterakademie, dass man hier ein Haus wie das Prinzregententheater hat und dazu noch das kleinere Akademietheater. Da gab es unglaublich viele Spielmöglichkeiten, um sich auszuprobieren.“ Ergänzt durch regelmäßige Kooperationen mit Häusern wie den Theatern von Nürnberg, Fürth, Augsburg, Bamberg oder Erfurt, an denen sich Kahl und die anderen Studierenden im professionellen Umfeld beweisen mussten. „Es ist ein Privileg, wie berufsnah man hier arbeiten kann und darf. Das hat mir auch geholfen, als ich unmittelbar nach dem Studium ein Engagement als Sky bei ‚Mamma Mia!‘ in Stuttgart bekam. Da hat mich das riesige Haus nicht ganz so erschlagen wie manch andere, die auch frisch von der Schule kamen. Weil ich eben das ‚Prinze‘ gewohnt war.“
Frischer Wind und viele Ziele
Nach fast zwei Jahrzehnten im Beruf merkt auch Armin Kahl, dass sich viel in der hiesigen Musical-Szene getan hat. Waren es auf Seite der Lehrenden früher meist Quereinsteiger aus Oper, Ballett und Schauspiel oder Profis aus England und den USA, ist mittlerweile eine Generation deutscher Darstellerinnen und Darsteller herangewachsen, die genau wie er eigene Erfahrungen in Workshops an den Nachwuchs weitergeben. „Unsere Ausbildung an der Theaterakademie war sehr breit gefächert. Und darauf kann man mit Recht stolz sein, weil einem leider oft immer noch die alten Vorurteile begegnen, dass man als Musicaldarsteller zwar alles ein bisschen, aber nichts richtig kann. Gerade wenn man mit Opernleuten arbeitet. Aber wenn die Proben dann erst einmal laufen, kommt meistens doch schnell ein wertschätzendes ‚Cool, was ihr da macht‘. Man muss einfach auf beiden Seiten offen sein und anderen mit Respekt begegnen.“
Musical ist ein breit gefächertes Genre. Mal steht der Tanz im Vordergrund, mal muss eine Geschichte ganz ohne Dialoge einfach nur durch Songs erzählt werden. Und wo das eine Stück stimmlich einen klassischen Background verlangt, haben andere ihre Wurzeln im Punkrock oder im deutschen Schlager. Will man sich da behaupten, ist in der Ausbildung vor allem Vielseitigkeit gefragt. Aber auch die Förderung individueller Stärken, wie Marianne Larsen bekräftigt. „Natürlich ist es bei der Aufnahmeprüfung wichtig, dass man ein gewisses Potenzial erkennt. Aber manchmal merkt man danach eben erst im Laufe des Studiums, wohin die Reise geht und welche anderen Talente womöglich noch in einem Menschen stecken.“
Und so findet sich unter den Musical-Alumni der Theaterakademie neben TV-Kommissar Tom Beck, Chansonnier Valdimir Korneev oder Schlager-Sängerin Ella Endlich auch Miriam Clark, die nach ihren Musical-Anfängen inzwischen bei Bellinis „Norma“ angekommen ist und international mit Partien von Giuseppe Verdi oder Richard Strauss reüssiert. Natürlich aber vor allem zahlreiche Namen, die heute aus der deutschen Musical-Szene nicht mehr wegzudenken sind. Größen wie Roberta Valentini, Milica Jovanović, Patrick Stanke oder eben Armin Kahl.
Vom Geheimtipp zum Coup
Auch die Produktionen des Studiengangs sind längst mehr als ein Geheimtipp in der Szene. Nicht zuletzt, weil Marianne Larsen immer wieder auf Stücke abseits des Standardrepertoires setzt, stets zugeschnitten auf die Stärken des jeweiligen Jahrgangs. Und das Können ihrer Studierenden scheint auch bei den Verlagen angekommen zu sein. Sie vertrauten der Theaterakademie unter anderem die deutschen Erstaufführungen von Rodgers & Hammersteins „Cinderella“ oder Andrew Lippas „Big Fish“ an, wobei letztere Produktion im Anschluss an die Münchner Premiere noch am Musiktheater im Revier Gelsenkirchen mit ähnlichem Erfolg gezeigt wurde.
Für die Jubiläumssaison ist Larsen mit der kontinentaleuropäischen Premiere von Shaina Taubs gefeierter Shakespeare-Vertonung „Twelfth Night“ nun erneut ein echter Coup gelungen. „Ich freue mich sehr, dass wir damit ein Musical einer spannenden jungen Komponistin zeigen können. Vor allem, weil das Stück nicht nur gute Musik hat, sondern mit dem Geschlechtertausch auf der Bühne gleichzeitig auch die aktuelle Diskussion um Gender und Diversity aufgreift.“ Womit wieder einmal bewiesen wäre, dass sich Unterhaltung und Tiefgang im Musical keineswegs ausschließen und auch in diesem Genre die Grenzen immer wieder neu ausgelotet werden.
Dieser Artikel ist eine Leseprobe aus unserer Ausgabe November/Dezember 2022