Als sich nach 66 Minuten die Bühne leert und lediglich drei Tänzerinnen der Ballettcompagnie über die Bretter geistern, entfaltet sich der Zauber von Henry Purcells Partitur. Stille, doch mitnichten klanglose Augenblicke einer verdichteten Wahrheit, die das Publikum die ergreifende Natürlichkeit dieser Weltabschiedsmusik erfahren lässt. Und auch Chordirektor Aki Schmitt am Dirigentenpult der Mecklenburgischen Staatskapelle scheint aufzuatmen, dass er nun nicht mehr um den Zusammenhalt von Orchester und Sängern in einem darstellerischen Dauerfeuerwerk kämpfen muss, sondern nach den feinen, leisen Zwischentönen lauschen kann. Für einen langen und doch viel zu kurzen Augenblick offenbart sich, dass die magischen Musiktheater-Momente ebenso einfach wie elementar sind – mögen die Inszenierungsideen der Gastregisseurin Reyna Bruns und des Ballettdirektors Jonathan dos Santos für Purcells Ballettoper „Dido and Aeneas“ auch durchaus stimmig sein.

Der Dreiakter selbst ist als Einstünder alles andere als abendfüllend. In Schwerin entwickelt das Regieduo deshalb ein Vorspiel auf den ersten Satz von John Adams „Shaker Loops“: Was nicht nur die Nähe von Barock und Minimal Music illustriert, sondern den Titelfiguren eine gute (Logen-)Bühne bietet, um die Vorgeschichte dieser Begegnung der karthagischen Königin und des trojanischen Fürsten zu erzählen. Passend dazu entwirft Malte Lübben schlichte, kontrastierende Schwarz-Weiß-Kostüme und eine bühnenfüllende Mauer für Schattenspiele, die mit dem eigentlichen Opernbeginn zusammenstürzt und deren Steine fortan als Requisiten die Handlung durchkreuzen.

Womit das Tohuwabohu seinen Lauf nimmt, da Librettist Nahum Tate das kurze Liebesglück des Mythos von Dido und Aeneas durch eine eifersüchtige Zauberin erschwert und die Handlung verkompliziert hat. Warum selbige indes noch zu einem Conchita-Wurst-Verschnitt mutieren muss, erschließt sich bei allem Respekt vor Sebastian Köppls ordentlichem Tenor nicht – und ist doch nur einer von zahlreichen, sinnfreien Gags. So verliert sich immer wieder die wunderbare Idee, die Alter Egos der Liebenden wie auch Didos Vertrauter Belinda (mit leuchtendem Sopran: Anna Cavaliero) durch mit ihnen auftanzende Ballettmitglieder Gestalt annehmen zu lassen. Zumal es nicht bei einem Alter Ego bleibt, sondern Ekaterina Chayka-Rubinsteins Dido und Brian Davis’ Aeneas sich von einem halben Dutzend Tänzern umringt sehen.

Chapeau, dass sich die Mezzosopranistin von diesem Auftrieb in ihrer Präsenz nicht beeindrucken lässt. Sie weiß ihre warme, dunkel gefärbte Stimme nicht allein in den Höhen sicher zu führen und das berühmte Lamento „When I am laid in earth“ mit ebenso innigem wie würdevollem Ton anzustimmen. Davis als ihr männlicher Kontrapart kann da schon ob Purcells undankbar knapper Partie nur verlieren. Der Opernchor belässt es bei Natürlichkeit, die durchaus zu ergreifen vermag. Wie auch die Staatskapelle in ihrem federnd kantablen Musizieren Überakzentuierungen und übertriebenen rhythmischen Zugriff vermeidet und über weite Strecken auf Empfindsamkeit setzt.

Christoph Forsthoff

„Dido and Aeneas“ (1688/89) // Balletoper von Henry Purcell, mit einem Prolog zu Musik von John Adams

Infos und Termine auf der Website des Mecklenburgischen Staatstheaters