Zürich / Opernhaus Zürich (März 2025) Beat Furrers „Das große Feuer“ atmet den Klang einer sterbenden Welt
Sein Lebensraum wird zerstört, seine Kultur belächelt und verachtet, sein eigenes Volk ist ihm fremd geworden. Sara Gallardos Roman „Eisejuaz“ (1971) ist ein hierzulande kaum bekanntes Stück Weltliteratur: die Geschichte eines Indigenen aus der nordargentinischen Region Chaco, geboren im Urwald, übersiedelt in eine christliche Mission und schamanisch verbunden mit der Natur. Er vertraut auf den Gott der Kolonisatoren, kommuniziert mit ihm aber über die „Botenengel“ seiner Vorfahren – Tiere, Hölzer, Elemente. Als der kommt, auf den Eisejuaz im Namen des Herrn zu warten glaubt, ist es ein rassistischer Weißer, Paqui. Allem Hohn zum Trotz nimmt sich Eisejuaz seiner an …
Ein vieldeutiger, zwischen bitterem Realismus und halluzinogenen Phantasmagorien changierender Stoff, den Beat Furrer für seine neunte Oper ausgesucht hat. Die Uraufführung am Opernhaus Zürich – geleitet vom Komponisten selbst – wird denn auch zum filigran gebauten Abgesang einer sterbenden Welt. Mit atmendem Holz und schneidendem Blech kündet die Philharmonia Zürich in einem gleißend-pulsierenden Klanggebilde vom Raubbau an unserem Planeten, untermalt von dissonanten Störsignalen in Tinnitus-Manier.
Murmeln ist beim von Cordula Bürgi einstudierten Vokalensemble Cantando Admont Methode. Daraus ergibt sich ein seltsam entrückter, stereophoner Chor, manchmal kaum vernehmbar, aber immer präsent – das Raunen der Vergangenheit. Sprechen ist ein zentrales Element in Furrers Partitur, genau wie der eigentümliche ständige Wechsel von deutscher Sprache und argentinischem Spanisch (Libretto: Thomas Stangl). Die zwölf Mitglieder von Cantando Admont treten für diverse Nebenrollen immer wieder aus dem Kollektiv hervor und meistern diesen Spagat mit Bravour.
Bariton Leigh Melrose legt den zwischen alter und neuer Welt zerriebenen Eisejuaz stimmlich plastisch an. Szenisch stößt er bei aller investierten Energie und überragenden Präsenz allerdings zwangsläufig an seine Grenzen – keineswegs selbstverschuldet, sondern weil die großen Qualitäten von Gallardos Roman sich in letzter Konsequenz nicht so recht auf die Bühne übertragen lassen wollen. „Eisejuaz“ ist der Bewusstseinsstrom eines Indigenen, die psychologische Studie eines Entwurzelten auf der Suche nach Sinn. Dieser unglaublich starke Gedankenfluss weicht in Stangls Libretto klassisch dramatischen Szenen, wodurch Geist und Zwischentöne zumindest stellenweise auf der Strecke bleiben. Genau wie die religiöse Inbrunst der Titelfigur, die Bedeutung der dem Tode entrissenen Muchacha (berührend: Sarah Aristidou) und insbesondere von Eisejuaz’ Nemesis Paqui (Andrew Moore). Letzterer wirkt in der Zürcher Lesart mit Anzug und Sonnenbrille wie ein klischeehaft auf diabolisch getrimmter (und keineswegs im Schlamm liegender) Fremdkörper. In solchen Momenten verschenken Tatjana Gürbaca und ihre Co-Regisseurin Vivien Hohnholz mehr als nur eine Chance, zumal einige der stärksten Buchpassagen entweder allzu komprimiert (die „familiäre“ Zweckgemeinschaft im Wald) oder gleich ganz außen vor gelassen werden, mutmaßlich aus Angst vor Kontroversen (Eisejuaz’ drastische Selbstoffenbarung indigener Selbstjustiz).
Nichtsdestotrotz ist „Das große Feuer“ nicht nur hörens-, sondern auch sehenswertes Musiktheater. Einmal, weil es eine relativ simple Kulisse aus schmutzigen Schieferwänden und Holz-Eisen-Stäben (Bühne: Henrik Ahr) mit Schattentänzen (Licht: Stefan Bolliger) und folkloristischen Versatzstücken (Kostüme: Silke Willrett) unglaublich atmosphärisch ausleuchtet. Vor allem aber, weil sich darin dem Körper abgerungene Kunst abspielt, die den Strudel des Zerstörens in Erinnerung ruft: einer Kultur, eines Volkes, einer ganzen Lebensweise.
Florian Maier
„Das große Feuer“ (2025) // Oper von Beat Furrer