Wie verdienstvoll, dass sich die Opernfestspiele Heidenheim konsequent auch des frühen Verdis annehmen und mit Festspielleiter Marcus Bosch über einen Dirigenten mit untrüglichem Gespür für die genauso leidenschaftliche wie effektsichere Tonsprache dieser Werke verfügen.

Historische Wahrheiten werden im „Attila“ freilich nur ansatzweise verhandelt. Es ist ein in Musik gesetztes Historiengemälde, bei dem ein geschichtliches Szenario als Folie dient für Liebe und Leidenschaft, Rache und Totschlag, Kirchengläubigkeit und Patriotismus. Wobei es durchaus dramatische Konstellationen gibt, wie wir sie noch immer aus der Realpolitik kennen. Beispielsweise einen Potentaten wie Attila, von Papst Leo I. als „Geißel Gottes gegen die Menschheit“ gebrandmarkt. Höhnisch lehnt er den vom römischen Heerführer Aetius (bei Verdi Ezio) angebotenen Waffenstillstand ab. Lässt Aquileia plündern und niederbrennen, nachdem er dessen Herrscher erschlagen hat. Und löst so eine Flüchtlingswelle der einstigen Bewohner auf Booten aus.

Sodann nimmt er sich Odabella, die Tochter des ermordeten Stadtoberhaupts, triumphierend zur Frau. Die jedoch sinnt auf Rache. Gemeinsam mit ihrem Verlobten Foresto, Ezio und dem römischen Heer gelingt ihr die auch. Bis es allerdings soweit kommt, gehen konfliktreiche Verwicklungen und Missverständnisse einher. Für das Verständnis der Handlung sind die zwar wenig hilfreich, doch für den jungen Verdi waren sie die Gelegenheit, virtuos mit allen Ingredienzien der damaligen italienischen Oper zu jonglieren.

Statt einem hollywoodfilmartigen Szenario nutzt Regisseur Matthias Piro eher eine Shakespeare-Bühne als Spielfläche, um die herum Chor und Solisten gruppiert sind. Alsbald treten sie in spannend entwickelte Interaktionen ein. Insbesondere die Führung des Terzetts im dritten Akt zeugt von gutem Regie-Handwerk, wie es Piro nicht zuletzt als Assistent von Lydia Steier mit auf den Weg bekommen hat. Schade nur, dass er sich im Laufe der Vorstellung im eigenen Assoziationsgeflecht verheddert und die schon im Opernlibretto nicht sonderlich schlüssig aufgebauten Erzählebenen durch überbordende Bild- und Videoprojektionen von Michelangelo bis Trump oder Weidel noch mehr durcheinanderbringt. Natürlich dürfen faschistoide Tendenzen und Gewaltherrschaft einst und jetzt in einer Theaterinszenierung kritisch reflektiert werden, aber dann bitte stringent entwickelt und nicht wild assoziativ.

Den Hunnenkönig singt Robert Pomakov mit großem Ambitus und dramatischer Wucht. Dessen Gegenspieler Ezio verleiht der weit ausladende Bariton Marian Pop affektangemessen Furor wie noble Größe. Mit hinreißender Strahlkraft startet Adam Sánchez seinen Foresto schon im Prolog, über den Abend hin zeigt er Steh- und Differenzierungsvermögen. Die kleineren Partien sind mit Musa Nkuna (Uldino) und Jared Ice (Leo I) gut besetzt. Und als einzige Dame in diesem Männer-Ensemble brilliert Leah Gordon als dominante Odabella mit dramatisch funkelnden Koloraturen.

Marcus Bosch führt den von Joel Hána präzise einstudierten Tschechischen Philharmonischen Chor Brünn und sein Festspiel-Orchester „Cappella Aquileia“ zu hohen Leistungen, festigt dabei sein Renommee als Verdi-Experte, verbindet Prägnanz mit Eleganz, dosiert klug die zackig-martialen Krieger-Gesänge und überzeugt mit seinem punktgenauen, elastisch federnden, dabei temperamentvoll gehaltenen Dirigat, welches zugleich den filigranen Passagen genügend Transparenz lässt.

Dr. Jörg Riedlbauer

„Attila“ (1846) // Dramma lirico von Giuseppe Verdi