Salzburg / Salzburger Festspiele (August 2024) „Hoffmanns Erzählungen“ scheitern am Cinemascope-Format
Wenn Mariame Clément mit Jacques Offenbachs „Les contes d’Hoffmann“ eines konsequent gelingt, dann, der „Opéra fantastique“ gehörig die Fantasie auszutreiben. Ihre Inszenierung bei den Salzburger Festspielen soll die Grenzen zwischen Kunst und Künstler verschwimmen lassen: Ihr Hoffmann ist ein sensibler, überspannter Regisseur, der seine Erzählungen an diversen Filmsets mit der Kamera einfängt. Speziell im Antonia-Akt wechselt die Perspektive zwischen „Action!“ und Backstage gefühlt sekündlich – man fragt sich des Öfteren, ob Clément eigentlich selbst noch im Blick hat, was im emotionalen Straucheln der Titelfigur wirklich „echt“ und was Drehbuch ist.
Das gibt der Produktion einen extrem verkünstelten, unnötig verkopften, pseudo-intellektuellen Touch. Und nimmt der Geschichte einen beträchtlichen Teil ihres Zaubers, nicht zuletzt auch durch aschgraue Bühnentristesse (Ausstattung: Julia Hansen). Schade, hält doch gerade Offenbachs posthum uraufgeführter Klassiker eigentlich ein wahres Füllhorn an Inspiration bereit. Übermäßiges Gewusel (Stichwort Filmset) und fade gezeichnete Nebenfiguren tun diesmal aber das Übrige, um die wenigen originellen Momente (etwa ein tänzelnd-konfuser Albtraum in Rot im Giulietta-Akt) schnell vergessen zu machen.
Leider erweist sich auch der Orchestergraben als Problem. Marc Minkowskis Zugriff trägt über weite Strecken zur Nicht-Stimmung bei, die Wiener Philharmoniker fahren unter seiner Leitung lange (viel zu lange!) auf Sparflamme. Das Dirigat klingt dadurch in den ersten Akten arg uninspiriert, zu wenig verspielt und magisch – es fehlt das Ohr für die französische Seele der Partitur. Mit der aufkommenden Dramatik der späteren Akte scheint sich Minkowski wohler zu fühlen, wenn er diese stellenweise auch zu dick aufträgt und dadurch rein lautstärketechnisch insbesondere dem Protagonisten der Titelrolle im Wege steht.
Das macht Benjamin Bernheim zu schaffen. Sein Hoffmann gerät im Großen Festspielhaus zum Drahtseilakt: Feine Lyrismen und der schwärmerische Grundton der Partie sorgen summa summarum zwar für feindosierten Hörgenuss – was aber fehlt sind Ecken und Kanten, die beißende Verbitterung und desillusionierte Härte eines mehrfach traumatisierten und letztlich abgestürzten Künstlers.
Gut, wenn man da eine Muse wie Kate Lindsey an seiner Seite hat. Sie ruft eine unaufgeregte, aber solide Leistung inklusive charmanter Ironie ab und weiß ihre Momente zum Glänzen zu nutzen, etwa in der traumwandlerischen Apotheose der Kaye-Keck-Fassung, wenn ihre Stimme mit einem famosen Solo gleichsam schwerelos über der stilsicheren Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor (Einstudierung: Alan Woodbridge) schwebt. Die drei Geliebten werden von Kathryn Lewek verkörpert. Unterm Strich kann sie drei Erfolge verbuchen, wenn auch mit deutlicher Tendenz zur Olympia, deren herrliche Koloraturen wie mühelos fließen. Ebenfalls gestaltwandlerisch präsentieren darf sich Christian Van Horn, dessen Bassbariton jedoch zu blass bleibt – von seinen Widersachern macht Dr. Miracle noch am meisten Eindruck.
Bleibt die ewige Fassungsfrage. Minkowski entscheidet sich für die orchesterbegleitenden Rezitative und hält mit selten gespielten Arien für Nicklausse und Dapertutto gleich noch ein paar musikalische Raritäten bereit. Und doch täuscht auch das nicht über einen Festspielabend weit unter den Erwartungen hinweg.
Florian Maier
„Les contes d’Hoffmann“ („Hoffmanns Erzählungen“) (1881 posthum) // Opéra fantastique von Jacques Offenbach auf Basis der kritischen Edition von Michael Kaye und Jean-Christophe Keck