Halfing / Immling Festival (Juni 2024) Verdis „Aida“ stellt das Seelendrama ins Zentrum
Giuseppe Verdis „Aida“ taugt auch jenseits von Freilichtspektakeln zum hochdramatischen Kammerspiel. Es scheint schlüssig, damit in eine Festspielsaison zu starten, die sich dem Motto „mitmenschlich“ stellt. In der Regie von Intendant Ludwig Baumann triumphiert ein überzeugendes Ensemble, kreativ ausgestattet (Nikolaus Hipp und Camilla Wittig) und atmosphärisch-fantasievoll ausgeleuchtet (Arndt Sellentin und Maximilian Ulrich). Das hochmotivierte Festivalorchester Immling marschiert im Takt, den Cornelia von Kerssenbrock auch dem hauseigenen Chor souverän vorgibt. Und mit der mexikanischen Yunuet Laguna erobert eine stimmlich sensationelle Aida das Publikum, das elektrisiert ist und am Ende alle Mitwirkenden mit euphorischem Beifall würdigt.
Viel zu häufig müsse man gegenwärtig, so Baumann in seiner Begrüßung, Defizite in puncto Menschlichkeit auch im analogen Umgang wahrnehmen. Das Theater kann dies trefflich spiegeln – im Spiel auf der Bühne und im Schachspiel erst recht. Schwarz-weiß und doch im opulenten Farbrausch von Verdis kompositorischer Gestaltungskunst begegnen sich auf dem kriegerischen Spielfeld im Konflikt zwischen Ägypten und Äthiopien die einschlägig bekannten Figuren. Angetrieben allesamt von ihren unterschiedlichen Stärkeverhältnissen, sehr persönlichen Zielen und der Gunst der Götter Ptah, Isis und Co. sowie deren hohepriesterlichen Stellvertretern auf Erden: Schach steht explizit für strategisches Denken, für Ambition, Meister-, Herr- und Leidenschaft, impliziert jede Menge Selbstdisziplin, Rivalität, Siegeswillen und „tödliche“ Niederlagen. Alles auch in der „Aida“ zu finden – Schachmatt in vier Aufzügen!
In aller Konsequenz beflügelt das rigide Machtspiel das Regiekonzept, das bewusst die seelischen Erschütterungen ins Zentrum stellt, die sich aus der toxischen Konstellation „Radamès zwischen Aida und Amneris“ ergeben. Natürlich geizt Baumann weder mit visuellen Bühnen- noch mit körperlichen Schleuder-Effekten, wie sie etwa die akrobatisch versierten Tänzerinnen und Tänzern der Kraiburger Narrengilde beisteuern.
„Kein Ding auf Erden erzeugt einen solchen Druck auf die menschliche Seele als das Nichts.“ Dieser Satz aus Stefan Zweigs „Schachnovelle“ schwebt über der Produktion und lässt im Zusammenklang mit dem bittersüßen Preludio schon früh ahnen, wie schwer dieses Nichts wiegt. Erbarmungslos, fern jeglicher Mitmenschlichkeit führen die auf Erden nicht lösbaren Loyalitätskonflikte zwischen Liebe und Vaterlandstreue, Feldherrenruhm und persönlicher Ehre, vereitelten Ausflüchten, Rache und Demütigung bei lebendigem Leib ins Grab.
In der Partie des Radamès debütiert der 1992 im Libanon geborene Joseph Dhadha. Er betört mit tenoraler Noblesse, stark in der Mittellage, wohingegen die Höhe in der fraglos kommenden Weltkarriere zu sichern bleibt. Wo Intrige, Rivalität, (Selbst)-Verliebtheit und Kränkung so plakativ ausgestellt werden wie von der zu manieriert, exaltiert, fast im Stil von Stummfilmdiven agierenden Amneris von Darina Gapitch, geht auch sängerischer Glanz bald unter. Dafür hat Immling mit Bariton Theo Magongoma und mit Yuneut Laguna, der in allen emotionalen Ausnahmesituationen ein funkelnder, substanzvoller, natürlicher, berührender Sopran zur Verfügung steht und die hier ein fulminantes Europa-Debüt feiert, ein in allen Facetten ideal besetztes Vater-Tochter-Gespann Amonasro-Aida engagiert, das die „Nilszene“ intensiv und zum Höhepunkt ausgestaltet. Mehr als solide „schlagen“ sich auch die Bässe Zaza Gagua (König) und Giorgi Chelidze (Ramfis). Sie führen ins himmlische Licht der Ewigkeit, in der sich anders als im Diesseits die im Frieden vereinten Liebenden als Gewinner behaupten.
Renate Baumiller-Guggenberger
„Aida“ (1871) // Oper von Giuseppe Verdi