Potsdam / Musikfestspiele Potsdam Sanssouci (Juni 2024) „Adriano in Siria“ und „„Le Mariage forcé“ im Schlosstheater
Tango in der Friedenskirche, Tarantella auf den Orangerie-Terrassen, Klavierwalzer im Palmensaal und eine Folk-Barock-Party auf dem alten Markt: Die Potsdamer Musikfestspiele 2024 fordern an allen Ecken und Enden zum „Tanz“ auf. Natürlich dürfen auch Bühnenwerke nicht fehlen.
Im Schlosstheater Neues Palais Sanssouci steht die Opera Seria „Adriano in Siria“ von Carl Heinrich Graun, Hofkapellmeister unter Friedrich dem Großen, als Eröffnungspremiere auf dem Programm. Gewählt wurde das Stück, weil bei der Uraufführung 1746 die Mitwirkung der Starballerina „La Barberina“ eine Ballettomanie auslöste. Als Reminiszenz an die Historie tritt in der aktuellen Inszenierung – der ersten seit dem 18. Jahrhundert – Valerie Lauer in die Fußstapfen der Tanzlegende. Ihre Darbietung zwischen den Akten und im Finale, für die Massimiliano Toni eigens eine folkloristisch anmutende „Barberina-Suite“ komponierte, ist orientalisch inspiriert, passend zum Handlungsort, dem heutigen Syrien. Der dort siegreiche römische Kaiser Hadrian (Adriano) verliebt sich in Emirena, Tochter des unterlegenen Partherkönigs, obwohl er bereits mit Sabina liiert ist und die Begehrte mit dem Fürsten Farnaspe. Nach innerem Ringen entscheidet sich der Regent doch für Sabina und wird für seinen Großmut gefeiert.
Syrien liegt in Domenico Franchis Ausstattung hinter einer Doppelreihe von Jalousien. Auf Prospekten sind wechselnd Landschaften, Paläste und im Finale Gebäudetrümmer zu sehen. Sie stellen den Bezug zum gegenwärtigen Bürgerkrieg her, analog zu vorne stehenden Koffern und Rucksäcken. Die Rollläden sind das beherrschende Element in Deda Cristina Colonnas Inszenierung: Das Solo-Ensemble, malerisch in antike Gewänder gehüllt, muss sie ständig hoch- und runterziehen. Mehr an Aktion ist der Regisseurin und Choreografin zu den Beziehungskonflikten nicht eingefallen und so erklingen Grauns ausgedehnte Da-capo-Arien vorwiegend statuarisch.
Dadurch konzentriert sich die Aufmerksamkeit auf den Gesang und der ist vom Feinsten. Countertenor Valer Sabadus als Adriano spinnt edle Melodiebögen, Sopranist Bruno de Sá zelebriert erlesene Liebesbekundungen und Federico Fiorio, sein Kollege im gleichen Stimmfach, profiliert sich als intriganter, auch in Sabina verliebter Adjudant durch mimische wie vokale Wendigkeit. Im Kampf um ihre Männer reizen die Sopranistinnen Roberta Mameli und Keri Fuge alle stimmlichen Affekte aus, der Bassist David Tricou steuert tiefe Farben und sonore Virtuosität bei. Den Geist der Aufführung aber trägt vom Orchestergraben aus Dorothee Oberlinger. Sie kitzelt aus ihrer famosen Instrumentaltruppe 1700 alles an spielerischer Flexibilität und Vitalität heraus und greift in der „Barberina-Suite“ auch selbst zur Blockflöte – im köstlichen Dialog mit dem Nay-Spieler Mohamad Fityan und der Cembalistin Olga Watts.
Auf Grauns erhabene Oper folgt das Comédie-ballet „Le Mariage forcé“ von Molière und Jean-Baptiste Lully. Drei französische Spezialensembles – „Le Concert Spirituel“, „Les malins Plasisirs“ und „La Compagnie de Danse l’Éventail“ – haben sich für die genretypische Mixtur aus Schauspiel, Ballett und Gesang zusammengetan und servieren sie in einem naiven Bühnenbild als freches Spektakel mit barocken, zirzensischen und modernen Elementen. Es ist ein fröhlicher Rausschmiss, bevor das Schlosstheater Neues Palais Sanssouci 2025 erneut für Sanierungsarbeiten schließen muss.
Karin Coper
„Adriano in Siria“ (1746) // Dramma per musica von Carl Heinrich Graun
„Le Mariage forcé“ (1664) // Comédie-ballet von Molière und Jean-Baptiste Lully