Die schwierige Aufführungsgeschichte von „Dalibor“ begann bald nach der Uraufführung 1868 im Prager Interimstheater (Neustädtisches Theater). Schon Gustav Mahler kürzte Bedřich Smetanas ersten Anlauf zu einer böhmischen Nationaloper in Wien um 50 Minuten. Manipulative Eingriffe waren auch später die Regel. Aus verschiedenen Gründen: Das in deutscher Sprache verfasste Libretto von Josef Wenzig vertonte Smetana in der tschechischen Übersetzung Ervín Špindlers.

„O Janko, könnt’ ich ans Herz dich pressen, der Kerker wär’ mir ein Wonnesaal!“ schwelgt Dalibor in Wenzigs Originaltext, welcher aufgrund Smetanas Vertonung der Übersetzung nicht kompatibel mit der Musik ist. Eigentlich kann es also nur zwei konsequente „Dalibor“-Interpretationen geben: Entweder der impulsive Raubritter ist schwul – oder der ferne und schon zu Beginn der Oper tote Freund Zdeněk ist eine Allegorie der Freiheit und der Musik. Im zweiten Fall hätten diejenigen recht, welche das tschechische Musikmonument „Dalibor“ als epigonale Antwort auf Beethovens „Fidelio“ (Frau befreit Mann aus Kerker) und Wagners „Lohengrin“ (Gericht mit Held aus „Glanz und Wonne“) betrachten. Die Frage, ob und wie sich Dalibor und Zdeněk/Janko umarmen, Seite an Seite kämpfen oder „nur“ miteinander musizieren, ist demzufolge essentiell.

Es ist deshalb auch verständlich, warum man am Nationaltheater Košice unter der seit September 2023 amtierenden slowakischen Kulturministerin Martina Šimkovičová eine konzertante Produktion des umstrittenen Opus bevorzugt. Diese dem „Jahr der Musik“ 2024 des befreundeten Nachbarlandes Tschechien und dem 200. Geburtstag Smetanas gewidmete Hommage gerät zur Sternstunde.

Nach der souveränen Vorbereitung des Chors und des Nationaltheater-Orchesters durch Peter Valentovič beweist Tomáš Hanus, warum er an großen Häusern als Fachmann für tschechisches Repertoire gehandelt wird. Er gestaltet mit einer dynamischen und nur ganz selten die volle Fortissimo-Dröhnung suchenden Feinarbeit. Dazu hat er eine Besetzung mit vokaler Pracht, Hochspannung und Sensibilität. Peter Berger – mit Hanus von einer „Dalibor“-Serie aus Brünn und Litomyšl kurz in die Ostslowakei gekommen – singt Dalibors Auftrittsromanze, die Vision im ersten und den Arien-Run im zweiten Kerkerbild ohne Striche und auf edelster Linie. Neben ihm brilliert Eliška Weissová als den Titelhelden erst hassende und dann ekstatisch liebende Milada: eine Hochdramatische mit Mezzo-Fundament, unerschöpflichen Reserven und vollkommen angstfrei in den oft unterschätzten tiefen Passagen. Berger und Weissová spielen ein echtes Liebespaar und liegen sich zum Ende ihrer Duette unter dem Jubel des Publikums in den Armen.

Als König Vladislav zeigt Marián Lukáč vergleichsweise milde Autorität und gibt in der Arie des dritten Aktes einen sehr subtilen Einblick in die Belastungen durch das Herrscherdasein. Michaela Várady wertet Dalibors Helferin Jitka mit klar gefasstem Fokus und schön blühender Empathie auf. Juraj Hollý empfiehlt sich in der kurzen Partie des Vitec mit nachdrücklichem Potenzial als zukünftiger Dalibor. Jozef Benci (Kerkermeister Beneš) und Michal Onufer (Budivoj) bestätigen den hohen Rang des Ensembles in Košice.

Roland H. Dippel

„Dalibor“ (1868) // Oper von Bedřich Smetana