Polizeigewalt bei Protesten in Belarus. Ein brennendes Flüchtlingslager, das tausende Menschen zu Obdachlosen macht. Rassismus in den USA und das Deutschlandlied auf Anti-Corona-Demos. Relevanter denn je präsentiert sich Viktor Ullmanns Opernparabel, die er im Konzentrationslager Theresienstadt komponierte. Sie hinterfragt den Wert des Lebens und Sterbens und fordert zum Widerstand gegen Unterdrückung auf.

Das Setting der Oper deckt sich mit ihren Entstehungsumständen. In Kaiser Overalls Reich herrschen Völkermord und eine Reduktion des Lebens auf bloße Überlebensfunktionen. Als er den Krieg aller gegen alle befiehlt, verweigert der Tod seinen Dienst. Das dadurch verursachte Ringen mit dem Leben zwingt den Kaiser zur Kapitulation, wodurch der Tod den Status quo wieder herstellt. Die schlichte, aber ausdrucksstarke Kulisse von Emine Güner holt Theresienstädter Ausstattungsmöglichkeiten auf die Düsseldorfer Bühne: Das Geflecht aus gespannten Seilen hält die Akteure gefangen, Zurren und Zerren ist zwecklos. Davor Tod und Harlekin, allegorisch für Sterben und Leben. Harlekin entzündet ein Stöckchen, ehe es – vom Tod ausgehaucht – auf einem Scheiterhaufen aus Streichhölzern landet. Wie ihre verschlissenen Lumpen reicht ihre Energie nicht mehr, um für ein würdevolles Leben oder Sterben zu kämpfen. Ein starkes Bild gleich zu Beginn! Als der Tod in die Rebellion geht, amüsiert er sich und das Publikum, wenn er vom linken Bühnenrand aus das Geschehen verfolgt – im flauschigen Bademantel, mit Wein und Popcorn. Menschen schießen aufeinander, doch sie sterben nicht. Die Folge: Irritation beim Kaiser, der im eigenen Seilgefängnis gefangen ist. Auch seine Lakaien Trommlerin und Lautsprecher sind hilflos. In ihrer türkisfarbenen Garderobe (Emine Güner) scheinen sie aus Atlantis aufgetaucht und kolorieren stilvoll die schwarze Umgebung. Mit Overalls Machtverlust sinkt die Hebebühne und die sich lockernden Seile eröffnen neue Freiheiten. Ein Soldat und ein Mädchen können sich wieder verlieben. Nach dem Untergang des Kaisers darf der Tod wieder ein willkommener Freund sein.

Generalmusikdirektor Axel Kober konturiert das Ringen um Leben und Tod, wenn er Ensemble und Kammerorchester feinsinnig durch Zwölftonmusik, spätromantische und jazzige Klänge lenkt. Die sängerischen Leistungen sind solide. Thorsten Grümbel als Lautsprecher beeindruckt mit einer alarmierenden Klangfarbe, während sich Emmett O’Hanlon trotz mäßiger Verständlichkeit mit seinem charakteristischen Timbre unter den Männerpartien hervorhebt. Für wunderbare Momente sorgt auch Anke Krabbe. Ihre klare Stimme verleiht dem Mädchen eine verletzliche Aura, womit sie ihren Einsatz für diese Partie rechtfertigt. Die insgesamt hervorragenden schauspielerischen Leistungen gleichen die wenigen musikalischen Schwächen aus. Vorsichtig und wachsam verbreitet ein verfremdeter Bach-Choral am Ende neue Hoffnung. Als könnte man dem Frieden nicht trauen, denn nur dieser eine Krieg ist vorbei. Mit dieser Botschaft schickt die Inszenierung von Ilaria Lanzino das Publikum in den ersten Post-Opernabend seit Langem.

Jonathan Reischel

„Der Kaiser von Atlantis oder Die Tod-Verweigerung“ (entstanden 1943/44 in Theresienstadt; Uraufführung 1975 in Amsterdam) // Viktor Ullmann