Mit einer Opernnovität politischer Brisanz eröffnet das Deutsche Nationaltheater Weimar seine Saison. Andrea Moses, die Direktorin des Hauses, setzt in Zusammenarbeit mit dem Kunstfest Weimar „Welcome to Paradise Lost“ von Falk Richter und Jörn Arnecke in Szene. Mit dem Ausstatter Christian Wiehle nutzt sie den rauen Charme und die Möglichkeiten des alten e-werks als niedrigschwellige Opern-Spielstätte. Vom Saal geht es für das Publikum und die Akteure in den Vorraum, von da auf den Vorplatz und wieder zurück. Dieser Perspektivenwechsel hilft über die allzu agitatorischen Klippen des Textes hinweg.

Richter greift in seinem 2018 geschriebenen Stück die über 800 Jahre alte persische Vorlage „Die Konferenz der Vögel“ auf und durchsetzt sie mit Gegenwart. Allerdings sind Greta-Thunberg-O-Töne auf einer Bühne keineswegs per se überzeugender, als wenn die mit Sprache begabten Vögel ihre Untergangsängste und Überlebensinteressen artikulieren. Die aktivsten von ihnen wollen bei Gott vorstellig werden. Auf dem Weg dahin – u.a. über sieben Täler – kommen sie zu der Überzeugung, dass sie keinen König brauchen, sondern selbst einer sind und Schwarmintelligenz auch einiges zu bewegen vermag.

Die Rolle der bedrohten Spezies übernimmt ein imponierend agierendes 16-köpfiges Chorkollektiv aus Weimarer Jugendlichen. Neben den Profis (Ylva Sofia Stenberg, Heike Porstein, Sarah Mehnert, Noa Frenkel, Alexander Günther, Agil Abdukayumov und der Schauspieler Jonas Fürstenau) zeigen die jungen Menschen-Vögel Engagement und Spielfreude – mit und ohne Vogelkopfmasken. Sie wollen aufrütteln, wachrufen, appellieren. Die schwedische Schulstreikerin ist freilich längst zur Ikone einer Bewegung mit weltweiten Vermarktungsmechanismen geworden. So berechtigt die Anliegen auch sind, eine Gleichsetzung unterschiedslos aller Regierenden bleibt ebenso fragwürdig wie das Ausblenden demokratischer Mechanismen.

Immerhin werden Gegenargumente mitgeliefert. Da ist der Lehrer, der zu Wort kommt und Verständnis mit Erfahrung mischt. Und da sind die Vögel respektive protestierenden Jugendlichen, die sich radikalisieren und den Zuschauern auf dem Vorplatz nicht nur „our futur is in your hand“ vor das Gesicht halten, sondern auch Brandflaschen basteln. Sofern der Text dominiert, bleibt der Abend agitproplastig. Wenn die Musik von Jörn Arnecke (unter der kundigen Leitung von Andreas Wolf) die Oberhand gewinnt, wird er zur Kunst. Mit einem Gespür für den Klang der Vogelstimmen übersetzt der Weimarer Komponist und Musikprofessor die Sprache der Vögel in die des 15-köpfigen Orchesters. Dieses Zwitschern und Tirilieren erobert denn auch an diesem Abend mehr Herzen für den Erhalt der bedrohten Spezies als jede griffige Parole.

Roberto Becker

„Welcome to Paradise Lost“ (2022) // Musiktheater von Jörn Arnecke

Infos und Termine auf der Website des Nationaltheaters