Düsseldorf / Deutsche Oper am Rhein (April 2023) Faszinierende Neuinszenierung von Korngolds „Toter Stadt“
Sie kommt zwar etwas verspätet, aber diese Neuinszenierung von Erich Wolfgang Korngolds „Die tote Stadt“ kann man getrost noch unter dem Label eines runden Stück-Jubiläums einordnen. Als diese Oper 1920 in Hamburg und Köln gleichzeitig uraufgeführt wurde, war der damals 23-jährige Komponist als Wunderkind unter Genieverdacht längst etabliert. Seine Karriere in Deutschland endete, als der Rassenwahn der Nazis zur Staatsdoktrin wurde. Er ging in die USA und nahm sich dort mit Erfolg der Entwicklung der Filmmusik in Hollywood an.
Aus seiner opulent schwelgerischen Musik erheben sich zwei klug platzierte, unverwüstliche Nummern: „Glück, das mir verblieb“ und „Mein Sehnen, mein Wähnen“. Das musikalische Drumherum kann es ohne weiteres mit dem von Richard Strauss aufnehmen. Axel Kober hat dafür am Pult der Düsseldorfer Symphoniker genau das richtige Gespür und hält obendrein die suggestive Orchesterpracht mit dem erstklassigen Ensemble in der Balance.
Die „Kirche des Gewesenen“, die sich der um seine tote Frau Marie trauernde Paul in Brügge eingerichtet hat, ist bei Daniel Kramer (Regie) und Marg Horwell (Ausstattung) eine Art verhängtes Atelier, in dem Paul mit einer lebensgroßen Kopie seiner Marie zusammenlebt. Für den Auftritt der Schauspieltruppe Mariettas und die Imagination der Prozessions-Szene genügt der düster abstrakte Platz von Pauls Wohnung.
Marie geistert aber auch als gespenstisch bleiche Untote (Mara Guseynova singt und spielt das auch überzeugend genauso) um Paul herum. Sichtbar ist sie nur für ihn und für uns. Die übersprudelnd lebendige Tänzerin Marietta, in der Paul sie sehen und lieben will, ahnt die Anwesenheit der Toten nur. Freilich bleibt es auch hier letztlich in der Schwebe, ob die Annäherung von Marietta an Paul und dessen Ringen, sich darauf einzulassen oder nicht, real oder nur ein Traum ist, mit dem er sich immerhin aus der Sackgasse seines Lebens befreit.
Nadja Stefanoff und Corby Welch laufen dabei als Marietta und Paul zu vokaler und darstellerischer Hochform auf. Sie imponiert mit ihrer attraktiven Vitalität, er vor allem mit seinem grandios aufdrehenden, mühelos wirkenden heldisch hellen Tenor. Da auch Anna Harvey als treue Haushälterin Brigitta und Emmett O’Hanlon als Freund Frank da mithalten, ist das Ganze ein Sängerfest von Rang. Nicht nur mit der Trennung von Marie und Marietta bleibt Kramer dichter am Stück, als es sich eingebürgert hat, er lässt auch seinem Paul die Chance auf eine Rückkehr ins Leben. So wird sein berührendes „Glück, das mir verblieb“ zu guter Letzt zu einem, „Glück, das uns verblieb“. Der Jubel des Premierenpublikums entspricht dem Format dieses geradezu kulinarischen Musiktheater-Ereignisses voll und ganz.
Roberto Becker
„Die tote Stadt“ (1920) // Oper von Erich Wolfgang Korngold