Die drei Rätsel, die Prinzessin Turandot stellt, werden von Prinz Calaf zwar gelöst, rätselhaft aber bleibt in der Inszenierung von Philipp Westerbarkei trotzdem vieles. Das beginnt mit dem Schauplatz: Von einem China aus märchenhaften Zeiten ist nicht viel zu sehen, eher weht mit einem Art-déco-Stil der 1920er Jahre ein Hauch von „Babylon Berlin“ über der Szenerie. Bevor die eigentliche Oper mit ihren wuchtigen Orchesterschlägen beginnt, erklingt die Melodie von „Nessun dorma“ am Klavier. Eine junge Frau räkelt sich lasziv und setzt sich einen Schuss Rauschgift. Es ist Turandot, die die gesamte Handlung offenbar nur im Drogenwahn durchlebt. Die meist dunkel gehaltene Bühne (ebenfalls von Westerbarkei) wandelt sich durch Vorhänge und Lichtstimmungen. Im Bühnenhintergrund erscheint eine riesige, fahle Mondscheibe. Bei den Kostümen (Tassilo Tesche) dominiert Schwarz. Nur Turandot trägt zeitweilig ein blaues Gewand und einen üppigen Federkopfputz. Immer, wenn Calaf ein Rätsel gelöst hat, legt sie ein Kleidungsstück ab: ihren Federputz, ihren Umhang und später sogar die Perücke.

Die drei Minister sind skurrile Figuren. Warum sie sich zwischendurch entkleiden und neckische Spielchen vollführen, ist unklar. Auch die Frage, warum Calaf am Ende der Oper wie tot am Boden liegt, bleibt offen. Zumindest sieht es nicht nach einem Happy End aus. Aber wenn die Handlung nur als Traum oder Rausch gesehen wird, sind die Gesetze der Logik ohnehin außer Kraft gesetzt. Da kommt es vor allem auf eine spannende Personenführung an. Und die ist Westerbarkei durchaus gelungen.

Langweilig ist diese „Turandot“-Inszenierung in keinem Moment. Dafür sorgt schon die packende musikalische Leistung. Mit Thomas Paul steht ein hervorragender Calaf auf der Bühne. Seine kraftvolle und strahlende Tenorstimme kommt ohne Mühe über das Orchester. Sein schönes Timbre verfärbt sich auch nicht in extremer Lage. „Non piangere, Liù“ und natürlich das bravourös geschmetterte „Nessun dorma“ werden zu Höhepunkten der Aufführung. Auch Agnes Selma Weiland kann in der Titelpartie überzeugen. Sie hat die für diese Rolle notwendige Durchschlagskraft und sichere, fast schneidende Höhe. In leiseren Passagen verliert ihre Stimme nur geringfügig an Substanz. Victoria Kunze ist eine der vielseitigsten Sängerinnen im Bremerhavener Ensemble. Als Liù trifft sie mit ihrem beseelten Gesang mitten ins Herz. Ihre Selbstopferung aus Liebe ist überzeugend und berührend.

Einen überwältigenden Eindruck hinterlassen die von Mario Orlando El Fakih Hernández und Edward Mauritius Münch bestens einstudierten Chöre. Und Marc Niemann am Pult des Philharmonischen Orchesters Bremerhaven musiziert einerseits so wuchtig und andererseits so fein differenziert, dass keine Wünsche offenbleiben. Seine dynamische und stimmige Interpretation verdeutlicht einmal mehr, zu welchen Höchstleistungen ein kleines Haus wie Bremerhaven fähig ist. Intendant Lars Tietje sollte sich fragen, ob der zurzeit schwelende Konflikt mit dem Orchester wirklich nötig ist.

Wolfgang Denker

„Turandot“ (1926 posthum) // Dramma lirico von Giacomo Puccini

Infos und Termine auf der Website des Stadttheaters Bremerhaven