Bei allen Gemeinsamkeiten könnten die beiden Einakter unterschiedlicher nicht sein. Während sich John Taveners „A Gentle Spirit“ mit hermetischer Aura umgibt, serviert William Walton mit „The Bear“ eine ausgelassene Buffa. Zwei britische Komponisten des 20. Jahrhunderts greifen auf die Sujets zweier russischer Schriftsteller des 19. Jahrhunderts zurück. Das eine Werk thematisiert die Trauer über den Verlust der Ehefrau, das andere Triumph und Freuden der Witwenschaft.

„A Gentle Spirit“ beruht auf Dostojewskis Erzählung „Die Sanfte“. Der unehrenhaft aus dem Offiziersdienst entlassene und sozial zum Leihhausbesitzer herabgesunkene Alexei hält nach der Selbsttötung seiner Frau Anya Rückschau auf die Schlüsselsituationen seiner Ehe. Er hatte die viel jüngere, arme und gesellschaftlich weit unter ihm rangierende Kundin geheiratet, um Macht über sie auszuüben, zuletzt durch ihre vollständige Isolation. Taveners Musik schüttelt klangliche Muster durcheinander und beobachtet sie bei der Neuorganisation. Fortissimo-Ausbrüche im Schlagwerk wechseln mit tenoralen Exaltationen ab. Erinnerungsmotivisch kehrt das vom Band gespielte „Let my soul live“ der jungen Suizidalen wieder.

Hausherr und Regisseur Kay Kuntze stilisiert die Figuren. Die vokalen Eruptionen Alexeis verschaffen sich desto heftiger Bahn. Seine Frau Anya hingegen wandelt traumverloren durch den Ehekerker. Bühne und Kostüme von Benita Roth setzen auf strenge Schwarz-Weiß-Optik. Die Schauplätze werden mit wenigen Requisiten angedeutet. Ruben Gazarian koordiniert mit dem Philharmonischen Orchester Altenburg Gera das meist Disparate und Gewollt-Asynchrone der Partitur. Nimmermüde und intensiv begibt sich Isaac Lee auf den tenoralen Höllenritt Alexeis. Miriam Zubieta beglaubigt darstellerisch und vokal die Verlorenheit Anyas.

So hätte sich denn ohne Pause der mentale Sprung in Waltons quirligen „The Bear“ kaum bewältigen lassen. Das auf Tschechows Einakter fußende Lustspiel um die ihren verblichenen und zu Lebzeiten stets auf außerehelichen Schlichen wandelnden Gatten durch vorbildliche Witwenschaft strafende Popowa, den bei ihren schrägen Trauerritualen assistierenden Diener Luka und den zunächst als Schuldeneintreiber zu ihr vordringenden, doch alsbald auf Freiersfüßen wandelnden Gutsbesitzernachbarn Smirnow gibt Kay Kuntze Gelegenheit, eine Art „Dinner for One“ auf die Bühne zu bringen, bei dem zu allem Überfluss ein Dritter hereinplatzt. Benita Roths Bühne und Kostüme kosten die Mixtur aus ebenso russischer wie britischer Skurrilität und Exzentrik detailliert und immer wieder überraschend aus. Ruben Gazarian lässt Charme und Pointen der anspielungsreichen und dabei sehr britischen Partitur aufblitzen. Bei Eva-Maria Wurlitzer mutiert darstellerisch und vokal Scheinheiligkeit zu Liebesleidenschaft. Johannes Beck verwandelt die Brutalität des Schuldeneintreibers in die Emphase des Galans. Kai Wefer als Luka schickt sich gemüthaft und vokal robust in die Eskapaden seiner schrillen Herrin.

Michael Kaminski

„A Gentle Spirit / The Bear“ (1977/1967) // Opern von John Tavener und William Walton

Infos und Termine auf der Website des Theaters