„Ich habe noch nie in meinem Leben so schnell Ja gesagt. Ich kann das richtig schnell, wenn’s drauf ankommt“, erklärt Musiker Peter Plate lachend über den Moment, als er vor über drei Jahren gefragt wurde, ob er aus der erfolgreichen ZDF-Serie „Ku’damm 56“ ein Musical machen wolle. Drehbuchautorin Annette Hess vermittelt darin mit der Familiengeschichte der Berliner Tanzschule Schöllack authentisch, bewegend und unterhaltsam die gesellschaftliche Situation der fünfziger Jahre.

Geleitet wird die Schule von der dominanten, vollkommen im moralisch-spießigen Frauenbild der Nachkriegszeit verhafteten Caterina Schöllack. Ihre drei Töchter Eva, Helga und Monika stehen ständig unter dem moralischen Druck der Mutter und finden nur allmählich ihren eigenen Weg. Dabei leidet Monika, in Wirklichkeit das Ergebnis einer Affäre von Caterina, schwer unter den moralischen Aggressionen der Mutter. Trotzdem ist sie es, die am besten zu sich selbst findet. Auch durch die Begegnung mit der von ihrer Mutter als komplett unmoralisch kritisierten Welt des Rock ’n’ Roll, verkörpert durch den ehemaligen jüdischen KZ-Häftling Freddy.

Es ist ein Glücksfall, dass Annette Hess auch Autorin des Musicals ist. Mit knappen, in den Ablauf der Songs integrierten und auf den Punkt formulierten Dialog-Collagen gelingt es ihr, die Geschichte zügig voranzutreiben. Und Peter Plate landet mit den 22 Musical-Songs, gemeinsam mit Ulf Leo Sommer geschrieben, einen Volltreffer nach dem anderen. Zwei davon sind hitverdächtig: „Monika“ und „Berlin, Berlin“.

Natürlich gibt es fetzige Rock ’n’ Roll-Nummern, die ebenso fetzig getanzt und gesungen werden. Aber viele der Songs transportieren das Geschehen musikalisch in unsere Zeit („Rosenstolz“ lässt grüßen). Dennoch entstehen keine Differenzen zwischen der Fünfziger-Jahre-Geschichte und der Gegenwart. Denn Jugendliche müssen in jeder Zeit ihren eigenen Weg suchen. Und dass Mutter Caterina immer wieder ein wenig operettenhaft zu singen hat, verstärkt auf ironische Weise den Charakter dieser aus der Zeit gefallenen Persönlichkeit. Katja Uhlig legt dazu alleine durch die komplett verkrampft durchgestylte Körperhaltung eine herrlich persiflierende Mutter-Studie aufs Parkett. Und dass sie gut singen kann und auch klassisch-hohe Spitzentönte beherrscht, vervollständigt ihre herausragende Darstellung. Sandra Leitner lässt als Monika unter der virtuos gespielten verdrucksten Schüchternheit immer wieder das Temperament aufblitzen, das sich dann explosionsartig bei der Rock ’n’ Roll-Fete entlädt. Dabei kommt David Jakobs als Freddy schauspielerisch und sängerisch groß heraus. Es geht unter die Haut, wenn bei seinen Charme-Attacken auf Monika immer wieder auch sein KZ-Trauma durchbricht.

Zu den Stärken dieses Musicals gehört generell, dass die in den fünfziger Jahren repressiven Einstellungen zu Homosexualität, Kommunismus, Nazi-Vergangenheit und Kultur so in die Story eingebettet sind, dass immer das Gleichgewicht gewahrt bleibt: zwischen Weinen und Lachen, Tragik und Glück, zwischen intimen Szenen zu zweit und temperamentvollem Gesamtensemble, zwischen leisen Tönen und groovendem Megasound, zwischen Sprechen und Singen. Dafür wurde in der Premiere neben dem gesamten Bühnenensemble zurecht auch das Kreativ-Team gefeiert: Christoph Drewitz für das Gesamtkonzept einschließlich einer klug und gekonnt durchdachten Menschenführung; Jonathan Huor für seine Choreografie, die den szenischen Ablauf zum bewegenden wechselnden Tanz des Lebens werden lässt; Caspar Hachfeld für die facettenreiche musikalische Leitung des Ensembles und seiner großartig aufspielenden Combo; und Ausstatter Andrew D. Edwards für ein Bühnenbild, das durch technische Mobilität und ausgefeiltes Lichtdesign (Tim Deiling) immer wieder wechselnde Szenarien ermöglicht.

Dieses bewegende und zugleich unterhaltsame Musical hat das Zeug dazu, Kult zu werden. Hingehen!

Claus-Ulrich Heinke

„Ku’damm 56 – Das Musical“ (2021) // Musical von Annette Hess (Buch), Peter Plate und Ulf Leo Sommer (Musik)

Infos und Tickets auf der Website von Stage Entertainment