Salzburg / Salzburger Festspiele (Juli 2025) Händels „Giulio Cesare in Egitto“ im Bunker
Im Haus für Mozart heulen die Sirenen: „offizieller Evakuierungsbefehl“. Schutt fällt von der Decke, das Licht flackert, es bleiben nur Matratzen, Konservendosen, kalter Beton – Händel im Bunker. Dessen „Giulio Cesare in Egitto“ eröffnet das diesjährige Opernprogramm der Salzburger Festspiele. Regie und Bühnenbild liegen in den Händen von Dmitri Tcherniakov. Seine erste Barockoper überhaupt inszeniert er als psychologisch tiefschürfendes Kammerspiel: acht Figuren, acht zerstörte Seelen, die nach der Gleichung „Solisten = Statisten“ fast dauerpräsent sind, ausweglos zurückgeworfen auf die eigenen Traumata – und die der anderen, denen sie schutzlos ausgeliefert sind. Ein Lazarett der Selbstzerstörung im tristen Einheitsgrau.
Dass Tcherniakovs Deutung bei über drei Stunden reiner Spielzeit und einem derart statisch-farblosen Setting nicht der Monotonie verfällt, ist das Verdienst erstklassiger Sängerdarsteller. Nicht alle gestalten ihre Partien nach dem, was man ein reines „Stimmenfest“ nennen würde. Aber – an diesem Abend viel wichtiger – ausnahmslos alle beleben ihre Rollen mit bis in die kleinste Faser dreidimensional angelegten Portraits voller Ecken und Kanten: Narben der fortwährenden Gefahrenlage, die mit Bombeneinschlägen und Warnungen im Black im Hintergrund lauert.
Die etwas spröde Stimmfärbung von Christoph Dumaux’ Countertenor macht seinen Cesare zur Geschmacksache, gerade die lyrischen Facetten der Partie geraten aber zum Triumph – umso mehr im Duett mit Olga Kulchynska, deren Cleopatra mit schillernder Bravour ohnehin durch die Bank glänzt und die sich seelisch bis auf den zum Tode bereiten Kern entblättert. Mit innig flimmerndem Alt, maskuliner Tiefe und fast schon einem Tick zu viel stimmlicher Präsenz durchschreitet Lucile Richardot das Tränental der Cornelia. Sopranist Federico Fiorio als ihr Bühnensohn Sesto verfügt über engelsgleiche, gleichsam schwebende Spitzentöne, die sich in unkontrollierten körperlichen Ausbrüchen – Wahnsinnstänze im Schatten der Katastrophe gleich einem verwundeten Tier – Bahn brechen. Auslöser: Countertenor Yuriy Mynenko als Tolomeo, ein überzogener Irrer mit unberechenbaren Untiefen und zwei Zungen, die im phasenweise sekündlichen Wechsel von Kopf- und Brusttönen technisch bravourös und beinahe schizophren fesseln. Der Bariton von Andrey Zhilikhovsky (Achilla) sorgt für eine erfrischende stimmliche Erdung, Jake Ingbar (Nireno) und Robert Raso (Curio) runden das Ensemble ab.
Kraftzentrum des Ganzen: Emmanuelle Haïm, die ihr Ensemble „Le Concert d’Astrée“ im Orchestergraben zu einem perlenden, energetischen Klang anspornt – ein organisch atmendes und zugleich elegantes Dirigat, das begeistert. Vermisst man die lustvollen Händel’schen Farben, die hier zusätzlich aufblitzen, denen Tcherniakov ein szenisches Äquivalent aber verweigert? Buhs für das Regieteam bleiben am Premierenabend ebenso wenig aus wie das ein oder andere Logikloch in einem Bühnenraum, in dem alle zwangsweise „aufeinander hocken“, was politische wie private Verschwörungen naturgemäß sehr erschwert. Und doch lauert unter dem gedämpften, misstrauischen „Lieto fine“ die Frage: Wenn schon so viel Hass im Inneren des Bunkers herrscht – wer ist dann erst der Feind von außen?
Florian Maier
„Giulio Cesare in Egitto“ (1724) // Opera seria von Georg Friedrich Händel