Chemnitz / Theater Chemnitz (September 2025) „Rummelplatz“ in der Europäischen Kulturhauptstadt
Chemnitz ist in diesem Jahr Europäische Kulturhauptstadt. Ein Höhepunkt: die Uraufführung einer Oper nach Werner Bräunigs DDR-Roman „Rummelplatz“. Es geht um die Wismut AG, jenes sowjetische Unternehmen, das im Erzgebirge Uran für die Atomindustrie abbaute. Schriftstellerin Jenny Erpenbeck, die das Libretto anfertigte, konzentriert sich auf wenige Szenen und vier Hauptfiguren aus dem 800-Seiten-Wälzer. Dabei fügte sie Originaltext hinzu, sodass Bräunigs kraftvoll-derbe Ausdrucksweise gewahrt bleibt.
Die Musik stammt von Ludger Vollmer, der hier die große Besetzung auffährt. Die von Benjamin Reiners schwungvoll geleitet Robert-Schumann-Philharmonie wird um jede Menge Schlagwerk und ein Piano erweitert; hinzu gesellen sich Opernchor, Kinder- und Jugendchor. Vollmer schrieb eine zugängliche, mitreißende Musik mit pulsierenden Rhythmen und beseelten Melodien. Er integrierte Spuren von Volksliedern, Jahrmarktmusik oder Techno, wobei die Partitur durch Leitmotive zusammengehalten wird. Das Bergwerk dröhnt in einer Ganztonleiter, während der Trubel auf dem Rummelplatz sich mit chromatischen, repetitiven Läufen zu orgiastischer Wucht aufbauscht.
Regisseur Frank Hilbrich setzt auf den Wechsel zwischen düsterem Untertage-Realismus und knallbunter Jahrmarkt-Atmosphäre. Befremdlich wirkt es, dass sich alle Figuren stets in Zeitlupe bewegen. Das erscheint wie der Versuch, eine einfallslose Personenregie zu kaschieren. Vor allem die Szene des Schauprozesses im Umfeld des Aufstandes vom 17. Juni 1953 wirkt blutleer und verkopft, da sie kaum mehr als altmodischen Rampengesang bietet.
Dass Langeweile aufkommt, verhindert jedoch das Bühnenbild von Volker Thiele, der den Kontrast zwischen den engen Stollen und dem weiten Himmel über dem Rummelplatz zuspitzt. Nach der Knochenarbeit betäuben sich die Bergleute hier bei Schnaps, Schlägereien und dem Anbändeln mit leichten Mädchen. In diesem Umfeld muss sich Professorensohn Christian Kleinschmidt bewähren, der vor Studienantritt zum Arbeitseinsatz verdonnert wurde. Ein geschickter Kunstgriff ist die Besetzung dieser Partie mit einem Countertenor: Etienne Walch vermittelt Zartheit und Intellektualität, zugleich aber auch Zähigkeit. Seine Gefährtin, die selbstbewusste Lokführerin Ruth Fischer, wird von Menna Cazel verkörpert, deren dramatischer Sopran ein wenig zu scharf klingt. Ihr Vater ist der Steiger Herrmann Fischer, ein ehemaliger KZ-Häftling; eindrucksvoll zeigt Jaco Venter, wie dessen kommunistische Ideale an der DDR-Realität zerschellen. Mit warmem Mezzo verkörpert Marlen Bieber die Kellnerin Ingrid, Peter Essl spielt mit ausdrucksstarkem Bariton Peter Loose, der nach dem Diebstahl eines Kartoffelsacks zum Bergbau eingezogen wurde.
Ein neuer Epilog spannt einen Bogen in die Neunziger. Lokführerin Ruth Fischer muss nun abwickeln, was sie einst als junge Frau voller Überzeugung aufbaute. Der einhellige Applaus honoriert nicht zuletzt, dass hier das Treuhand-Trauma thematisiert wird, das auch rund um Chemnitz massenhaft Arbeitsplätze vernichtete und die ganze Region deindustrialisierte.
Antje Rößler
„Rummelplatz“ (2025) // Oper von Ludger Vollmer (Musik) und Jenny Erpenbeck (Libretto) nach dem gleichnamigen Roman von Werner Bräunig
