Prag / Národní divadlo (Oktober 2025) Mozarts „Idomeneo“ als Selbsterforschungstrip
Dass der Katalane Calixto Bieito heute mehr ein gefragter europäischer Regisseur als der Garant für einen kalkulierten Skandal ist, wird schon daran erkennbar, dass sein „Idomeneo“ von der Staatsoper in Prag und dem La Monnaie in Brüssel gemeinsam produziert wird. Das Recht der ersten Nacht liegt dabei im Mozart-affinen Prag: in der grandios im alten Glanz neu erstrahlenden Staatsoper zwischen Nationalmuseum und Hauptbahnhof.
Verschmiertes Blut, klirrende Ketten und ein gezücktes Messer gibt es zwar auch diesmal – aber gut dosiert und als Metaphern für eine eher psychologische Innenschau jenes Königs, der dem Gott Neptun in schwerer See leichtfertig ein Menschenopfer verspricht, wenn er gerettet würde. Dass der dafür ausersehene erste Mensch, dem er begegnet, sein eigener Sohn Idamante ist, verleiht dieser Oper des 25-jährigen Mozarts ihre tragische Dimension. Es ist selbst da zwar schon seine zwölfte Oper, aber die erste von den im engeren Sinne großen. Schon wegen des musikalischen Drives, der weit über die Seria-Enge hinausweist.
Für ihre Bühne hat Anna-Sofia Kirsch bewegliche transparente Mauerwinkel gebaut. Mit diesen lassen sich auf offener Szene leicht verschiedene Raumsituationen simulieren, ohne dabei die eher psychologisierende Konstellation zu verlassen, bei der vor allem Idomeneo mit sich in Dauerfehde liegt. Wenn die Protagonisten in der Klemme stecken, imaginieren diese Wände beklemmende Enge. Wenn dem Staat eine Katastrophe durch ein Ungeheuer droht, rasselt ein riesiges Netz voller Kanister mit Getöse vor den Füßen des angstverschreckten Volks hernieder. Beim zentralen Quartett beklagen sie nicht nur alle die Misere, in der sie stecken, sondern versuchen sich auf unterschiedliche Art umzubringen – was ihnen natürlich nicht gelingt.
Die Kostüme von Paula Klein behaupten ungefähre Gegenwart. Der Aktenkoffer, den Idomeneo nach seiner Rettung immer dabei hat, offenbart spät, auch für die Zuschauer, sein Geheimnis. Die Innenseite ist ein Spiegel – der Besitzer dieses Koffers ist vor allem mit der Selbsterforschung befasst. So erklingt die Deus-ex-machina-Stimme von Zdeněk Plech, die ihn am Ende in Pension schickt und Idamante und Ilia die Macht übergibt, aus dem Graben, aber Idomeneo bewegt die Lippen dazu, als käme sie aus ihm. Auch eine Möglichkeit, ohne die Götter auszukommen.
Konrad Junghänel setzt mit dem Orchester der Staatsoper lustvoll auf die vorwärtstreibende Dynamik dieser Musik, wobei ihm das Protagonisten-Ensemble willig dabei folgt. Mit seiner Erscheinung, vor allem aber mit dem kraftvoll markanten Timbre seiner Stimme rückt Evan LeRoy Johnson tatsächlich Idomeneo auch vokal ins Zentrum. Ohne sich optisch als Mann zu verkaufen, ist Rebecka Wallroth jener Idamante und Jekatěrina Krovatěva die von ihm geliebte Ilia. Petra Alvarez Šimková steigert sich imponierend klar und kraftvoll in die Verzweiflung der bei Idamante chancenlosen und hier recht isolierten Elettra hinein. Wenn die Produktion in Brüssel herauskommt, mag es andere musikalische Akzente geben. Die kluge Inszenierung bietet dafür Raum.
Dr. Joachim Lange
„Idomeneo“ (1781) // Dramma per musica von Wolfgang Amadeus Mozart
