Augsburg / Staatstheater Augsburg (April 2022) „Das Ende der Schöpfung“. Einfach so!
Prophetische Qualitäten, Marke „Apocalypse Now“, beweist das Staatstheater Augsburg bei der Uraufführung des „szenischen Oratoriums“ „Das Ende der Schöpfung“, das André Bücker quer durch die Sparten und musikalischen Jahrhunderte inszeniert. Sänger, Schauspieler, Tänzerin, Chor und großes Orchester: Man lässt Joseph Haydns Prunkfinale zugunsten einer endzeitlichen „Die Menschheit schafft sich selbst ab“-Dystopie komplett an die Wand fahren, übermalt Haydn stellenweise mit Elektro-Remixen (Jürgen Branz) und verzichtet auf den dritten Oratorienteil gleich komplett. Vor dem Hintergrund eines gar nicht mehr so visionären Untergangsszenarios lässt der österreichische Komponist Bernhard Lang ein schauerliches letztes Drittel entstehen, stark erweiterte Orchesterbesetzung inklusive. Ihm gelingt dabei beeindruckend die gebotene ehrerbietende Annäherung an Haydn, gleichzeitig schreibt er ihn stilistisch souverän fort und schafft unterschwellige Anbindungen, ohne sich mit Zitaten anzubiedern. „Was passiert mit der Schöpfung, wenn der Mensch sie nicht überlebt?“, lautet die über allem schwebende Frage.
Dietmar Daths Dialoge ersetzen ursprüngliche Rezitative, konterkarieren die Haydn’schen Lobpreisungen mit „sieben sehr bösen Bildern“ – und lassen erahnen, worauf es hinauslaufen wird. „Geschaffen und kaputt gemacht“: Schleichend nimmt die Vorahnung auf das Ende des anthropozänen Zeitalters Gestalt an. Passendes Szenario ist dabei ein in gleißendes weißes Licht getauchtes Laboratorium samt durchgehend-steriler OP-Kostüm-Ästhetik (Lili Wanner) von Opernchor und Gesangssolisten (Jihyun Cecilia Lee*, Pascal Herington, Young Kwon). Die drei Schauspieler „Herr Wer“ (Hanna Eichel), „Frau Wie“ (Paul Langemann) und „Deibel Deus“ (Nadine Quittner) hantieren parallel zum Geschehen fortwährend mit den „Bausteinen des Lebens“ – bunten Würfeln, die ins große Regal der Schöpfung, dem zentralen Bühnenelement, ein- und ausgebaut werden und zum „Ende der Menschheit“ als pechschwarze Überbleibsel der Zivilisation den Boden übersäen (Bühne Felix Weinold). Das Setting wirkt wie ein psychedelisches Szenario aus einer Retro-Science-Fiction der siebziger Jahre – erstaunlich stimmig zum alttestamentarischen Oratorientext.
Das ist auch die große Stärke dieser Produktion: Man ignoriert gekonnt das Raum-Zeit-Kontinuum und fügt mit erstaunlichen Ergebnissen zusammen, was nicht zusammengehört. Immer präsent: die übergroße runde Videoprojektion im Hintergrund, experimentelle Petrischale und „Auge Gottes“ zugleich. Im Fokus des zweiten Teils – alle Protagonisten jetzt ausnahmslos in Schwarz – stehen zwei Texte von Lord Byron und Jean Paul in Libretto-Fassung von André Bücker. „Die Finsternis hat sie, die Menschen nicht mehr nötig“, könnte man das nennen, was sich in beeindruckender Einheit mit Langs drastisch kontrastierender Musiksprache zur neuen Realität herauskristallisiert – wenn ein Nachdenken über das Undenkbare einsetzt und sich die Wege von Mensch und Schöpfung trennen. Diese Uraufführung fasziniert durch permanente Spannungsfelder auf der einen und das Infragestellen der Dualität auf der anderen Seite: Selbst der „Deibel“ darf zeitgleich auch „Gott“ sein (über den ganzen Abend hinweg fabelhaft vertanzt: „Deus“ Adriana Mortelliti).
Musikalisch souverän und empathisch gesteuert wird der große Apparat von Ivan Demidov, Gesangssolisten, Schauspieler und Chor runden auf erstklassigem Niveau diesen leider eindringlichen Theaterabend ab. Und das Leben geht weiter – auch ohne die Menschheit.
* am Premierenabend nur szenisch, stimmlich hervorragend ersetzt durch Katja Stuber (Haydn) und Evgeniya Sotnikova (Lang)
Iris Steiner
„Das Ende der Schöpfung“ (1798/2022) // Szenisches Oratorium von Joseph Haydn und Bernhard Lang