Die Opéra de Lyon beginnt die neue Spielzeit im mondänen, 1989 vom Architekten Jean Nouvel neugestalteten bogenförmigen Bau zwischen Saône und Rhône wieder mit einer Wagner-Oper, dem „Tannhäuser“. David Hermann inszeniert das Stück mit einer Assoziation an die Frau – im Venusberg – als Prototyp eines weiblichen Androiden. Damit scheint er zum Ausdruck bringen zu wollen, dass die übermenschlich Begehren auslösende Strahlkraft der Frau – einmal geweckt – etwas roboterhaft Unbegrenztes haben kann, vor dem der Mann (hier stellvertretend als Tannhäuser aus Fleisch und Blut) nach einer gewissen Zeit nur noch fliehen kann, ja muss. Instinkthaft animalischen Schutz, Wärme und Geborgenheit suchend, zieht es ihn nach einer gewissen Zeit allerdings wieder dorthin zurück.

So sehen wir schon im Vorspiel den nackten Körper einer modellhaften Frauengestalt als Lichtspiel riesenhaft über der Bühne. Er wird von Fabrice Kebour inspirativ geschickt beleuchtet, reduziert sich dann aber computergesteuert auf die rein mechanischen Komponenten des menschlichen Körpers – wird sozusagen „entsexualisiert“. Vor solch einer androiden Venus möchte Tannhäuser nur noch fliehen. Und das spielt sich in der französischen Fassung, die man in Lyon endlich wieder einmal erleben kann, viel spannender ab als in der Dresdner.

Der Schmachtende findet sich kurz darauf in einer Mars-Wüste wieder, bei der man unwillkürlich an den Film „Der englische Patient“ denkt. Eine schon jetzt völlig ausgepowerte Pilgergruppe wandelt vermummt vorbei, einer bricht trotz intensiver Wiederbelebungsversuche tot zusammen. Der Hirte ist überraschenderweise auch Android und fungiert im weiteren Verlauf offenbar als Scharnier zwischen der „Wartburg“-Welt, die nicht da ist, und dem Venusverlies im Untergrund. Ein riesiger imposanter Spiegel vergrößert dieses Wüstenbild und dominiert auch die Bühne im Schlussakt mit Reflexionen immer neuer interessanter Facetten. Im Mittelakt sieht man einen Militärflughafen in der Wüste. Hier findet ein unkonventioneller Sängerstreit statt, mit Kostümen von Bettina Walter, die eher an einen Sechziger-Jahre-„Parsifal“ an der Met erinnern, aber trotzdem diskussionswerte Fragen verschiedener Art aufwerfen. Ähnlich übrigens wie auch das Finale, in dem sechs Androiden aus dem Venus-Verlies hochkommen.

Stephen Gould ist die vokale Referenz des Abends. Kernig und farbenprächtig sein Heldentenor, vermag er auch darstellerisch die Rolle sehr emphatisch zu gestalten. Johanni van Oostrum ist als Elisabeth zwar engagiert, verfügt aber über zu wenig stimmliches Volumen. Christoph Pohl gibt einen geschmeidig klangvollen und ausdrucksstarken Wolfram, Liang Li einen sowohl persönlichkeitsstarken wie stimmkräftigen Landgrafen. Irène Roberts ist eine Venus mit rollengemäß begrenzter Aktion, aber klangvollem Mezzo. Nach einem eher leichten Beginn im Vorspiel steigert sich das Orchestre de l’Opéra de Lyon im Laufe des Abends zu einer guten Leistung unter der Stabführung von Daniele Rustioni, der auch den hauseigenen Chor dramaturgisch sinnvoll einbindet.

Dr. Klaus Billand

„Tannhäuser und der Sängerkrieg auf Wartburg“ (1845) // Oper von Richard Wagner

Infos und Termine auf der Website der Opéra de Lyon