Hamburg / Staatsoper Hamburg (Februar 2024) „Kannst du pfeifen, Johanna?“ fragen sich nicht nur die jüngsten Besucher
Der Oper stirbt das Publikum weg! Nur noch fünf Prozent der Opernbesucher sind jünger als 25 Jahre! Klagen und Hilferufe wie diese sind seit Jahrzehnten landauf, landab zu hören, die entsprechenden Fakten und Zahlen in der Tat alarmierend: Schließlich sind die Kinder und Jugendlichen von heute die Zuschauer von morgen – allerdings nur, wenn beizeiten ihr Interesse für die Oper geweckt wird. Fragt sich nur, wie? Mit kindgerecht aufbereiteten Erwachsenen-Opern wie der „Zauberflöte für Kinder“? Oder doch eher mit speziellen Kinderopern? Wobei: Was ist das eigentlich, Oper für Kinder? Für Kinder gespielt wie Humperdincks „Hänsel und Gretel“? Für Kinder geeignet wie Wilfried Hillers „Traumfresserchen“? Für Kinder von erwachsenen Ensemble-Mitgliedern gespielt? Oder für Kinder von Kindern aufgeführt?
In Hamburg hat sich die Staatsoper vor mehr als zwei Jahrzehnten mit ihrer „opera piccola“ eigentlich für letzteres Konzept entschieden. In der jüngsten Produktion „Kannst du pfeifen, Johanna?“ allerdings setzt Regisseurin Maike Schuster an der Alster dann doch wieder auf belehrendes Kindermusiktheater für Erwachsene. Schade – Stück verschenkt. Denn Ulf Starks gleichnamiger Kinderbuch-Hit, vom mehrfach ausgezeichneten Schweden nach einem Schlager der Comedian Harmonists benannt, bietet mit seiner Geschichte einer Freundschaft zwischen den Generationen eigentlichen besten Bühnenstoff. Geht es doch auf der Studiobühne der opera stabile um Nils (imposanter Bass: Karl Huml), der keinen Enkel hat, und um Berra (Ziad Nehme), der keinen Opa hat. Also geht dessen Freund Ulf (Grzegorz Pelutis) mit ihm in ein Altersheim, wo sich der einsame alte Nils und der schüchterne Berra einfach gegenseitig adoptieren. Inmitten zweier riesiger Baiser-Berge (Ausstattung: Lea Burkhalter und Anton von Bredow) lassen sie Drachen steigen, klettern auf Bäume, um sich im Kirschkern-Spucken zu üben, und (lernen) pfeifen.
Dummerweise hat Gordon Kampe für die Vertonung auf diverse bunte Buch-Episoden und damit auf eine für die Jüngsten so wichtige Anbindung in ihrer Lebenswelt verzichtet – und Regisseurin Maike Schuster macht dem verbliebenen Buch-Rudiment mit bemühtem, vermeintlichem Kinderhumor den Garaus. Was nicht nur auf Kosten der Poesie geht und spätestens im Moment des Todes von Nils auch nicht mehr funktioniert, sondern lediglich das kindliche Vergnügen an der Anarchie trübt. Schade, denn Kampes experimentelle Soundcollage zwischen Alter Musik und zeitgenössischen Effekten für die fünf Mitglieder der Hamburger Philharmoniker ist bisweilen schon düster-abstrakt genug, als dass es noch weiterer Eigenwilligkeiten in diesem Spiel um die treffenden Töne bräuchte. Ist und bleibt halt eine schwierige Sache mit der Kinderoper.
Christoph Forsthoff
„Kannst du pfeifen, Johanna?“ (2013) // Musiktheater für Kinder von Gordon Kampe